Das Tahiti Projekt - Ein Leser vor Ort
Heute erreichte mich ein Schreiben von Udo Blum (war auch in Wuppertal dabei). Er hat mir einen Brief eines Freundes weitergeleitet, der zur Zeit auf Tahiti Urlaub macht und dem er das „Tahiti-Projekt“ als Reiselektüre mitgegeben hat. Dieser Freund, sein Name ist Peter Schrage-Aden, ist beim Bezirksamt Berlin-Zehlendorf/Steglitz für Umweltfragen zuständig. Interessant, was so einer über das Tahiti-Projekt und die Realitäten vor Ort zu berichten weiß. Hier ist er, der Brief…
Lieber Udo
Mit großem Interesse habe ich das Buch, „Das Tahiti Projekt“ gelesen, das Du mir empfohlen hattest, und zwar auf Tahiti. Ich saß in einer kleinen Ferienanlage am Meer, mit Blick auf Mo´orea, in einem blumenübersäten Garten, und genoss den Südseeflair. Nur die Anlage verlassen, zu Fuß, das war fast nicht möglich. Die PKW-Dichte auf Tahiti ist größer als in Berlin und die gesamte Bevölkerung scheint sich immer rund um die Insel zu bewegen. Da viele in Papeete arbeiten oder dort Geschäfte zu erledigen haben ist irgendwie jeder einmal am Tag mit seinem Wagen auf der Inselstrasse unterwegs. Was natürlich auch zu Staus führt. Da es keine Fußwege außerhalb der Stadt gibt, st ein sich bewegen mit dem Rad oder zu Fuß fast nicht möglich. Die Busse fahren morgens nur für die Schulen, so dass der gesamte Berufsverkehr auf Individualverkehr ausgelegt ist. Damit sind wir direkt bei einem der zentralen Themen der Projektes. Die wesentliche Entwicklungshilfe der französischen Regierung – und der EU – scheinen der Straßenbau zu sein. Auf einigen Atollen sahen wir neu angelegte Rundstraßen, sogar mit Fahrradstreifen auf beiden Seiten, für 500 Eínwohner. Das soll dem schwächelnden Tourismus helfen. Die Strassen halten bei den Klimabedingungen 10 Jahre, dann kommen die Reparaturen, für die es keine Subventionen gibt.
Ein anderer Aspekt des Buches sticht ins Auge: die Energieversorgung. Regenerative Energie wird kaum genutzt, es gibt keine einzige Windanlage und Solartechnik ist noch recht unterentwickelt. Dabei wäre es eine reizvolle Aufgabe, die kleinen Inseln und Atolle energieautark auszurüsten mit kombinierten Wind – und Solarkraftwerken. Auf allen Inseln beträgt die maximale Strecke, die mit einem PKW gefahren werden kann, 70 km, meist weniger. Ideal für Elektrofahrzeuge. Die Batterien könnten nachts mit dem überschüssigen Wind- und Wellenstrom geladen werden. Wir haben außer in den Luxushotels und auf den Golfplätzen kein einziges gesehen. Angeblich ist eine Hochbahn einmal rund um Tahiti geplant, was mir aber etwas abwegig erscheint. Zu vermerken sei, so unser Vermieter, dass auf Bora Bora mit Tiefenwasser gekühlt würde und das es auf Tahiti in der Nähe des Botanischen Garten ein Wellenkraftwerk gäbe. Ich konnte es leider nicht ansehen. (im Roman gehen hier die Attentäter an Land) Aber, die Waldschule die eine wichtige Rolle im Roman spielt, die haben wir auf Mo´orea entdeckt, bei einer Wanderung über die Insel. Gut ausgestattet, mit einem breiten Angebot für Kinder ab 5 Jahren, Wochenkurse, Lehrpfad, Übernachten im Wald mit Lagerfeuer, und sie ist energieautark.
Auch die Idee mit der Biomassenutzung aus dem Buch drängt sich auf. Überall steigen die Rauchsäulen der Feuer auf, da die organischen Abfälle fast alle verbrand werden. Jedes Haus hat einen Brennplatz. Die Fasern der Kokusnüsse werden nur zu einem geringen Teil genutzt, vor allen in den Vanille- Plantagen als Mulchmaterial. Dabei ist ihr Einsatzbereich sehr weit gefasst. U.a. als Ersatz für Torf im Gartenbau.
Angeblich finanziert die EU einen Teil des Unsinns, der hier gemacht wird, insbesondere im Strassenbau. Die Tahitianer gehen immer noch davon aus, das ihr Luxustourismus mehr Geld bringt als der Massentourismus auf Fidschi. Aber, sie scheinen an dem Ast kräftig zu sägen, auf dem sie sitzen. Das letzte Kreuzfahrtschiff, dass die Inseln noch anläuft, ist der Grosssegler Star Fleyer und das will diese Route 2010 einstellen, weil die Liegegebühren zu hoch werden und es andere bürokratische Hemmnisse gibt. Das Schiff war mit 96 Gästen nur gut halb belegt. Auf Bora Bora haben schon Hotels geschlossen. Auch auf den anderen sieht man die Ruinen am Strand stehen. Wir sind jetzt in der Hauptsaison hier aber es wirkt alles recht leer.
Die Mehrheit der Besucher kommt nur für ein paar Tage, oft als Flitterwöchner. Für 5 Tage 300 – 600 € für die Nacht zu bezahlen wird für diesen Zweck gern hingenommen. Da aber fast alles importiert wird, so gar Obst, obwohl hier alles wächst, werden die Deviseneinnahmen auch schnell wieder ausgegeben.
Die aktiven Kräfte im Tourismus, so wie wir es beobachteten sind Ausländer, oft in Frankreich geborene Franzosen, die hier ihr Glück und ein lockeres Leben suchen. Durch die hohen Transferleistungen Frankreichs und der EU kann der hohe Lebensstandard und das noch viel höhere Preisniveau noch gehalten werden. Die Richtung der Entwicklung scheint aber echt fragwürdig.
Ein besonders krasses Beispiel: Auf der Insel, die das historische Zentrum Polynesiens darstellt, Raiatea, früher auch Havaiì genannt (!) wurde vor 10 Jahren ein Kai von über 400 m Länge angelegt, dazu eine große Empfangshalle für die Gäste, die mit den Kreuzfahrtschiffen kommen sollen und eine Reihe von historisierenden Marktständen. Das alles nett beleuchtet mit gusseisernen Leuchten aus Frankreich. Nur, nach dem 11.9. kamen keine Kreuzfahrtschiffe mehr. Der Kai ist verweiste, die Verkaufsstände sind geschlossen und in der 500 m² Touristeninformation sitzt eine desinteressierte Person, die nicht in der Lage ist, einen einzigen Wanderweg zu benennen, noch die Abfahrzeiten der Fähren oder des Busses kennt. Demgegenüber macht die bedeutenste Kultstätte Polynesiens Taputapuatea einen eher bescheidenden Eindruck. Sie wurde restauriert unter der Leitung eines hawaiianischen Professors mit japanischem Namen (!) aber die Hinweisschilder und Ausstellungsgegenstände entsprechen nicht der grossen Bedeutung, die diese Stätte hat. Man sollte sich vor Augen halten, das viele Familien in Neuseeland und in Hawaii ihre Ahnen auf Familien aus Raiatea und die Kanus, die ihre Vorfahren brachten, zurückbeziehen können.
Ein anderes Beispiel: über der Cook-Bay in Mo´orea wurde am Hang eine grosse Ananas-Plantage – wahrscheinlich mit EU-Strukturfondmitteln – angelegt. Angeblich falsche Anbauweise und Pflügetechnik führten zu Bodenerosion. Die herausgewaschene rote Vulkanerde sorgte dafür, dass die Korallen in der Bay, eine der schönsten und bekanntesten der Südsee, eingingen. Der Witz an der Sache: die Ananas dient dem Export, der Erlös dient dazu, Erdölprodukte einzuführen, für die große Fahrzeugflotte der Insulaner und für die allgegenwärtigen Klimaanlagen. Wer einmal in einem traditionellen polynesischen Haus gesessen hat weiß, dass hier, bei stetigem Wind, keine Klimaanlage erforderlich ist, wenn das Haus richtig gebaut wurde. Das, in dem ich diese Zeilen schreibe, hat eine ausreichende Querlüftung und ist auch mittags angenehm kühl bei 25 °.
Ein letztes Wort zum Hausbau. Die Bungalow für Touristen sind fast alle in einer einheitlichen Form gebaut, mit spitz zulaufendem Dachgiebel. Beim polynesischen Haus ist dieser First nach oben gewölbt und dem Meer zugerichtet und offen, so dass hier die frische Briese eingefangen und in das Haus geleitet wird. Richtig gemacht führt das dazu, dass eine Klimatisierung entbehrlich ist. In den Hotels sind die Öffnungen der Häuser im Giebel meist verschlossen und können so ihre Funktion nicht ausüben. Dafür gibt es dann ein Klimagerät an jedem Gebäude. Von einer Wiederbelebung der polynesischen Baukunst ist nichts zu spüren, dafür viel vergammelter Beton zu sehen. Aber, dieses Problem arroganter nicht angepasster Bauweise ist nicht neu. Mitchener beschreibt dieses in seinem Buch „Hawaii“ 1956 sehr anschaulich am Bau der ersten Kirche in Hawaii durch amerikanische Missionare aus Neuengland 1822. Die Kirche musste unbedingt geschlossen sein, wie eben Kirchen in Europa gebaut werden. Entgegen dem dringenden Rat der Einheimischen. Ergebnis war, dass die Leute schwitzend dem Gottesdienst folgen durften weil kein frisches Lüftchen wehte.
Nebenbei: der Aga Kahn Preis für Architektur ging 2008 an einen Architekten der TU Berlin, gebürtig aus Burkina Faso, für eine Schule in seiner Heimat , die genau diese Aspekte gut und preiswert aufgreift.
So weit meine Eindrücke in Zusammenhang mit diesem diskussionswürdigen Buch, das viele spannende Lösungen vorschlägt. Von einer Union aller Polynesischen Völker – unter Einschluss und unter Führung von Neuseeland – träumen hier viele, wenn die Mehrheit auch für einen Verbleib bei Frankreich stimmt. Am 9.9. will sich der Nachfahre der letzten Königin Pomare IV, nach dem er viel Mühe darauf verwandt hat, die Nachfolgerschaft zu klären und sich in die Genealogie einbrachte – die Königin starb kinderlos – zum König krönen lassen. Mal schaun. Die Bürger Polynesiens sind als französische Staatsbürger wahlberechtigt zum EU-Parlament. Die Liste der Grünen, die ich zufällig hier bekam, sieht schon recht spannend aus. Vielleicht eine Gelegenheit, das Tahiti – Projekt auf dieser Schiene ein bisschen zu bewegen und von ihm zu lernen. Die Kleinen Inselstaaten hätten es verdient.
Für mich war es eine anregende Reiselektüre.
Grüsse aus Moórea.
P.S. leider konnte ich Dir diesen Brief nicht früher schicken da wir in der Südsee vom e-mail-Verkehr fast abgeschnitten waren und die HotSpots unverschämt teuer und langsam sind.