Extremwetter - Die Zusammenhänge
Mit Wetter meinen wir laut Wikipedia, was heute oder morgen draußen passiert. Klima beschreibt, wie das Wetter über einen langen Zeitraum aussieht. Im Rahmen des Klimawandels wird der Begriff Extremwetter zum Dauerthema. Ob Hitzewellen, Dürren, Starkregen oder (Wirbel-)stürme: wo liegen die Zusammenhänge?
Temperatur ist nur eine davon. Das Wetter lässt sich auch durch die Temperatur am Boden, an der Wasseroberfläche und in der Atmosphäre sowie Druck und Dichte in den unterschiedlichen Luftschichten beschreiben. Das komplexe Zusammenspiel bestimmt, ob bei uns auf der Erde die Sonne scheint, ob sie von einer Wolkendecke verborgen wird, ob es regnet oder stürmt.
Der Begriff Extremwetter beschreibt dabei ein außerordentliches Wetterereignis, das statistisch selten in seiner Wiederkehr, Größe oder Dauer unter Berücksichtigung von Vergleichsdaten und Vergleichszeitraum auf einen klar definierten geografischen Raum bezogen ist. Der statistische Nachweis ist zwar bei kleinräumigen Ereignissen schwierig, aber seit einigen Jahren kommen Wissenschaftler dem Zusammenhang zwischen dem Extremwetter und dem Klimawandel mit Hilfe von verfeinerten Klimamodellen auf die Spur. Diese Wissenschaft nennt man Zuordnungsforschung oder Attributionsforschung. Inzwischen gilt als gesichert: Extremwetter nimmt mit steigenden Temperaturen zu. Eine Dürre wie im Sommer 2022 tritt demnach ohne Klimawandel wahrscheinlich nur alle 224 Jahre auf, mit der derzeitigen Erderwärmung von 1,2 Grad wahrscheinlich alle 13 Jahre. 1) Wahrscheinlich heißt: der Klimawandel allein kann kein Ereignis auslösen, da Wetterereignisse stets mehrere Ursachen haben. Dazu gehört aufgrund der chaotischen Natur des täglichen Wetters auch der Zufall. Doch der menschengemachte Klimawandel kann einen deutlichen Einfluss darauf haben, wie wahrscheinlich und wie intensiv ein Wetterextrem ausfällt.
Am einleuchtendsten ist der Anstieg der Lufttemperatur durch den Treibhauseffekt. Treibhausgase wie Kohlendioxid und Methan reflektieren die Hitzeabstrahlung der Erde und es gibt mehr heiße und weniger Frosttage. Die Anzahl von Hitzewellen nimmt zu. Die gesteigerte mittlere Temperatur erhöht das Risiko für Dürren, Waldbrände und Hitzewellen.
Der Klimawandel stört zusätzlich Luftströme, die für die Entstehung unseres Wetters wichtig sind. Die verringerten täglichen Schwankungen führen zu länger anhaltenden Wetterlagen, die sich über Wochen erstrecken können. Normalerweise treibt der Jetstream, ein Strömungsband in der höheren Atmosphäre, die Wetterlagen in den gemäßigten Breiten weiter. Bilden sich allerdings Schlaufen wie Anfang September über Deutschland, bewegt sich kaum noch etwas. Um diese Zone herum bildet der Jetstream eine Schleife in Form des griechischen Buchstabens Omega mit Tiefdruckzellen an der Basis (hier in Spanien und Griechenland). Die Tiefdruckzellen sind zwangsläufig ebenfalls längere Zeit stationär und führen zu heftigen Starkregenereignissen.
Auch in unseren gemäßigten Breiten werden sich die Tage mit gefährlicher Hitze 2) amerikanischen Forschern zufolge bis 2050 mehr als verdoppeln. Bis 2100 werden es sogar bis zu zehn Mal so viele Tage mit gefährlicher Wetterlage sein als im Vergleichszeitraum zwischen 1979 und 1998. Für subtropische und tropische Klimazonen errechneten sie gefährliche Hitze bei einer Steigerung der globalen Durchschnittstemperatur um drei Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitraum sogar für die Mehrheit der Tage im Jahr.
Ein lange Zeit unterschätzter Wert ist die Temperatur der Meere insbesondere die Oberflächentemperatur. Diese Erwärmung geschieht nicht kontinuierlich und mit großen Unterschieden nach Regionen und Tiefenbereichen. Am deutlichsten tritt sie zutage, wenn man global gemittelte Werte über längere Zeiträume betrachtet. So lässt sich zum Beispiel feststellen, dass am 21.8.2023 die durchschnittliche Oberflächentemperatur um 0,86 Grad Celsius über dem Mittel am gleichen Tag des 30jährigen Vergleichszeitraums 1982 bis 2011 lag. Zu Beginn des Jahres lag der Anstieg noch bei 0,45 Grad. 3) Das klingt nach wenig, entspricht aber einer enormen Energiemenge. 93 % der zusätzlichen Energie, die das Erdsystem erwärmt hat, geht in die Ozeane. Es ist unvorstellbar, welche höllischen Zustände heute auf der Erde herrschen würden, wenn diese Energie Luft und Landmassen zusätzlich aufgeheizt hätten. Vor der Südküste Floridas wurde am 24. Juli 2023 ein neuer Rekord bei der Wassertemperatur aufgestellt. 38,44 Grad Celsius wurden durch eine Messboje registriert. Für viele Meeresbewohner ist das eine lebensbedrohende Situation, weil Eiweiß bereits ab 42 Grad Celsius irreversibel geschädigt wird. 7)
Die Wärmeaufnahme durch die Ozeane stellt einen Puffer bei Klimaänderungen dar und verlangsamt im gegenwärtigen Klimawandel deutlich die Erwärmung der Atmosphäre, verschleiert aber das Zerstörungspotential, das diese Energie für die Entstehung von Wirbelstürmen und Starkregen hat. Ein durchschnittlicher Hurrikan produziert mit der bei der Kondensation frei werdenden Wärme etwa 5.2 x 1019 Joule/Tag (6 x 1011 Kilowatt). Das entspricht etwa der 200-fachen Menge der weltweiten elektrischen Energieproduktion6) oder 400.000 mal der Leistung des abgeschalteten Atomkraftwerks Isar2! Während seines Lebenszyklus kann ein tropischer Wirbelsturm laut NASA die Energie von 10.000 Atombomben freisetzen. Die Energie wird zu über 99 % durch Erzeugen von Wolken und Regen frei. Nur der Rest sorgt als kinetische Energie für die Aufrechterhaltung der rotierenden Winde. Das entspricht immerhin auch noch etwa der Hälfte der weltweiten elektrischen Energieproduktion.
Am 5. Januar 2023 beobachtete Dr. Jens Kieser (Bordmeteorologe auf dem Expeditionsschiff Polarstern) mehrere Funnel-Clouds (Wirbelwolken, Vorstufe eines Tornados) über antarktischen Gewässern. Ein solches (laut Kieser) in dieser Region bis dahin kaum dokumentierte Phänomen könnte, als erste Hypothese, in Zusammenhang mit einem Polartief 9) („Polar Lows“) gestanden haben. Dafür sprach, dass auf der Vorderseite eines markanten Hochkeils, unter dem sich die Polarstern befand, kalte Luft über das eisfreie und somit relativ warme Wasser ins Fahrtgebiet strömte. Ein hoher Temperaturunterschied muss nicht zwangsläufig nur in den Tropen Folgen haben.
Doch es gab einige Indizien, die gegen diese Vermutung sprachen:So zeigten die Satellitenbilder keine typischen Wolken-Strukturen. Starker Wind und kräftige Niederschläge fehlten und es herrschte gute Sicht. Die Messungen einer Radiosonde zeigten im Höhenbereich bis ca. 3000 m ebenfalls nur schwachen Wind. Möglicherweise hatte man es hier mit der Vorstufe eines Polartiefs zu tun, welches sich dann nicht weiter entwickelte.
Für die Entstehung der Funnel-Clouds schien es jedoch keine offensichtliche Erklärung zu geben.7)
Basierend auf den Beobachtungen und den wenigen Analysedaten vermutet Jens Kieser, dass eine Kombination aus Labilität in der niedrigen Troposphäre und einer – wenn auch nur kleinräumigen und schwachen – Windscherung (Unterschied in der Windgeschwindigkeit oder Windrichtung über relativ kurze Entfernungen) zur Entstehung der Funnel-Clouds und in der Folge zu Waterspouts (Tornados über Wasser) führte.
Starke Winde wirken auch auf die Meeresströmung ein. Temperaturunterschiede in verschiedenen Meeresregionen und die Erdrotation sorgen bisher für mehr oder weniger konstante Strömungen. Für uns Europäer ist der Golfstrom am bekanntesten. Er bringt warmes Wasser vom Golf von Mexiko nach Nordeuropa und wirkt dort wie eine Zentralheizung. Das abgekühlte Wasser sinkt nach unten und fließt in der Tiefe des östlichen Atlantik zurück nach Süden.Wenn nun größere arktische Eismassen schmelzen und das Wasser stärker abkühlen, wird die Stärke der Strömung reduziert. Diese Abschwächung des Golfstroms hat in der Erdgeschichte schon mehrmals stattgefunden und der Weltklimarat meint, dass sich die Strömung im Verlauf dieses Jahrhunderts aufgrund der weiteren Erderwärmung sehr wahrscheinlich weiter abschwächen wird. Wenn aber diese Strömung wie in der letzten Eiszeit abreißt, dann kühlt sich die Nordhalbkugel relativ (und aufgrund des Klimawandels nur relativ zum Tropengürtel) ab, und Niederschlagszonen verlagern sich nach Süden. Dann gibt es Dürren in Regionen, wo es vorher üppige Niederschläge gab und Starkregen in Zonen, die vorher trocken waren. Diese Veränderung der Temperaturverhältnisse wirkt sich neben der Meereszirkulation auch auf die Winde in der Atmosphäre aus. Die Temperaturunterschiede über dem abgekühlten Atlantik und den erwärmten Kontinenten haben Auswirkungen auf den Jetstream. Eine Studie 4) hat gezeigt, dass der Jetstream dann tendenziell öfter südlich um diese Kälteblase im Atlantik herum führt. Europa wird darauf von Winden aus Südwesten angeströmt und das verstärkt Hitzewellen im Sommer wie wir sie in den letzten Jahren schon erlebt haben.
Im Pazifik wird ein ähnliches allerdings bisher nicht dauerhaftes Wetterphänomen als La Niña (das Mädchen) bezeichnet. Dabei kommt es zu überdurchschnittlich hohen Luftdruckunterschieden zwischen dem östlichen und dem westlichen Pazifik. Dann verstärken sich die Passatwinde von Ost nach West deutlich und die Temperaturen des Wassers im östlichen tropischen Pazifik sinken durch den nun dominanteren aus der Antarktis kommenden Humboldtstrom erheblich ab. Dies hat zur Folge, dass sich im Bereich des Westpazifiks Unwetterereignisse und Wirbelstürme häufen, während es im ohnehin schon trockenen Küstenbereich Südamerikas noch trockener ist als sonst.
Den umgekehrten Effekt kennen wir als El Niño (das Christkind). Der kalte Humboldtstrom führt durch die geringe Verdunstung normalerweise zu hoher Trockenheit und der Existenz der Atacama-Wüste. In einem El Niño-Jahr wird die Druck-Differenz zum Tief vor Südostasien geringer und die Passatwinde flauen im Sommer immer mehr ab, bis sie sogar in die entgegengesetzte Richtung von West nach Ost wehen. Dadurch kommt es auch zu einer Abschwächung des Humboldtstroms. Das Oberflächenwasser vor der Küste Perus erwärmt sich so sehr, dass die obere Wasserschicht nicht mehr mit dem kühlen und nährstoffreichen Tiefenwasser durchmischt wird.
Etwa nach drei Monaten (zur Weihnachtszeit, darum der Name) erreicht das warme Wasser aus dem Osten Australiens die südamerikanische Westküste. Die größeren Mengen verdunstenden Wassers führen zu sehr starken Regenfällen, Es gibt Überschwemmungen und Hangrutschungen in den küstennahen andinen Wüstengebieten. Die Wüste erwacht zum Leben, während im Meer die Nahrungsketten zusammenbrechen. In Südostasien bleibt es dagegen trockener als gewöhnlich. Auch die Äquatorregion erwärmt sich und wirkt wie eine große Heizfläche, was die globalen Windsysteme durcheinander bringt.
Der Klimawandel könnte El Niño zu einem dauerhaften Ereignis machen. Auf drei Vierteln der Erde würden die Wettermuster beeinflusst. Selbst an der nordamerikanischen Westküste kommt es zu Überschwemmungen. Der Regenwald in Südostasien und im Amazonasgebiet leidet dagegen unter Trockenheit. In Südostasien und Australien kommt es durch den fehlenden Regen zu Buschfeuern und riesigen Waldbränden. Während es in Ostafrika in Ländern wie Kenia und Tansania mehr Regen gibt, ist es im südöstlichen Afrika deutlich trockener. 5)
Am 4. Juli 2023 hat die Weltorganisation für Meteorologie den El Niño ausgerufen.
Eine der erwarteten Folgen (siehe oben) ist mit der Trockenheit im Amazonasbecken bereits überdeutlich eingetreten: der Amazonas führt heute so wenig Wasser, dass durch die mangelnde Schiffbarkeit Dörfer nicht mehr erreichbar sind. Einige Nebenflüsse sind ausgetrocknet und ein großes Fischsterben ist zu beobachten.
Unseren Nachrichten war das gerade einmal einen Tag eine Meldung wert. 8)
Nehmen wir an, dass jetzt endlich im notwendigen Ausmaß reagiert wird und die nötigen Klimaschutzmaßnahmen von allen Seiten eingeleitet werden. Was würde sich verbessern? Laut Dr. Marotzke vom Max Planck Institut für Meteorologie erst einmal gar nichts. Der CO2-Gehalt der Atmosphäre reagiert erst mit einer Verzögerung von ca. 20 Jahren.7) Wir haben also seit Jahrzehnten kein Wissenschafts- sondern ein Handlungsproblem.
1) https://www.zdf.de/dokumentation/planet-e/planet-e–extremwetter-und-klimawandel-100.html
2) Die Klassifizierung „gefährlich“ stammt aus dem Hitzeindex des nationalen Wetterdienstes der USA. Dieser beruht auf dem Effekt von Temperatur und Luftfeuchtigkeit auf den Menschen, dem sogenannten Hitzestress, auch „gefühlte Temperatur“ genannt. Ab 103 Grad Fahrenheit (39,4 Grad Celsius) gilt sie als gefährlich, ab 124 Grad Fahrenheit (51,1 Grad Celsius) als extrem gefährlich mit der Gefahr eines Hitzschlages innerhalb weniger Stunden,
3) National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) der USA
4) https://www.nature.com/articles/s41598-019-43823-1
5) https://www.enso.info/globaus.html#kontinente
6) http://www.naturgewalten.de/hurrikan/hurrfaq.htm
vom Meteorologen und Geophysiker Thomas Sävert in Zusammenarbeit mit Chris Landsea (Forschungsmeteorologe in der Hurricane Research Division des Atlantic Oceanographic and Meteorological Laboratory der NOAA)
7) Information vom Extremwetter-Kongress in Hamburg
8) https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-1256116.html
9) Polartiefs sind kurzlebige in Verhalten und Aussehen den tropischen Wirbelstürmen ähnliche Phänomene. Ihre Lebensdauer beträgt im Mittel 1 bis 2 Tage. Im Gegensatz zu den meisten tropischen Stürmen entwickeln sie sich sehr rasch und erreichen ihr Maximum innerhalb von 24 Stunden. Gewöhnlich bilden sie sich in Gebieten mit hoch reichender arktischer Kaltluft (z.B. als Fallwinde von polaren Eisflächen), die über verhältnismäßig warmes Wasser strömt.
Polartiefs sind aufgrund mangelnder Messdaten in der Polarregionen und ihrer geringen horizontalen Ausdehnung schwer vorherzusagen. Sie scheinen sogar für ungeklärte Schiffsunglücke verantwortlich zu sein: zwischen Grönland und Norwegen verschwinden regelmäßig Schiffe, ohne dass die Ursache bekannt wird.
Autor: Rudolf Prott