Ewigkeitschemikalien – Fluch und Segen
Am 18. Januar fand am späten Abend im fast leeren Bundestag eine kurze Debatte über Ewigkeitschemikalien statt. Anlass war ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel
„Vorteile von Per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS) weiter nutzen, Wertschöpfung erhalten, Gesundheit und Umwelt schützen“
als Positionierungsaufforderung an die Bundesregierung zum laufenden Verfahren der EU. Man beachte die Reihenfolge der drei Aussagen! War das wieder einmal der Versuch Industrieinteressen gegen wissenschaftliche Erkenntnisse und gegen die Ängste und Bedenken der Bevölkerung durchzudrücken? Ganz so einfach ist es diesmal nicht (mehr zum Prozedere am Ende des Artikels).
PFAS werden seit den 1940er Jahren produziert und gelten seither als Wundermittel für die Industrie. Es sind synthetisch hergestellte Chemikalien mit einer nahezu unüberschaubaren Vielzahl an Zusammensetzungen. Diese in der Natur nicht vorkommenden und damit auch kaum abbaubaren Verbindungen bestehen aus Kohlenstoffketten, deren Wasserstoffatome ganz oder teilweise durch Fluoratome ersetzt wurden. Dementsprechend groß ist deren Anzahl. Die US-Umweltschutzbehörde geht von bis zu 15.000 Substanzen aus. Da es sich bei der Verbindung von Kohlenstoff und Fluor um eine der stabilsten im Chemiereich handelt, sind diese „Ewigkeitschemikalien“ Universaltalente. Sie sind verhältnismäßig günstig herzustellen und überall da einsetzbar, wo es um besonders widerstandsfähige, öl-, wasser- und schmutzabweisende Oberflächen und Materialien geht. Sie sind auch gegen Bakterien oder Licht unempfindlich sowie hitze- und chemikalienbeständig. Pizzakartons schützen sie vor dem Durchfetten. Pappbecher werden wasserdicht. Outdoorbekleidung machen sie wetterfest. Bei Pfannen, Herzklappen und medizintechnischen Geräten verhindern sie Anhaftungen. In Kosmetika sollen sie das Eindringen des Pflegeprodukts in die Haut fördern. Heimtextilien werden abriebfester und in Löschschaum bilden sie auf der Oberfläche brennbarer Flüssigkeiten oder auf geschmolzenen Oberflächen einen Wasserfilm. In der Pharmaindustrie werden PFAS eingesetzt, um die Stabilität von Arzneimitteln zu verbessern oder ihre Freisetzung im Körper zu steuern. Als Prozesschemikalien kommen PFAS beispielsweise in der Halbleiterindustrie zum Einsatz, wo sie in Mikrochips Strukturen ätzen. Auch in Zukunftstechnologien für die Klimaziele sind PFAS im Einsatz: für Membranen in Wärmepumpen und Brennstoffzellen sowie als Binder für die Beschichtung der Kathode mit Metalloxiden und als Additive in Elektrolyten von Lithium-Ionen-Batterien.
Marike Kolossa-Gehring (Cheftoxikologin des Umweltbundesamtes):
„Ich habe in 30 Jahren Berufserfahrung vorher noch keinen Stoff gesehen, bei dem sowohl in Tierversuchen als auch in epidemiologischen Studien eine ganze Reihe von wirklich bedenklichen toxikologischen Wirkungen bei einem relativ niedrigen Belastungsniveau auftreten.“
In die Umwelt gelangen PFAS hauptsächlich durch Abwässer und Abluft bei der Produktion und aus Deponien oder beim Sprayen, in geringerem Maß durch Abrieb. Über den Boden landen sie im Grundwasser und in der Nahrungskette. In der EU ließen sich PFAS in mehr als 70 % der Grundwasser-Messstellen nachweisen. Die farb-, geruchs- und geschmacklosen Substanzen sind in vielen Fällen nachweislich giftig. Sie können Krebs verursachen, unfruchtbar machen und das Immunsystem beeinträchtigen, was zu einem erhöhten Risiko für Infektionen und zu einer verringerten Wirksamkeit von Impfungen führt. Eine Studie des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2020, in der Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 3 und 17 Jahren untersucht wurden, wies PFAS im Blut aller Probandinnen und Probanden nach. Andere Studien haben einen Zusammenhang mit reduzierter Hormonproduktion von Schilddrüse und Bauchspeicheldrüse festgestellt.
Der „Nordische Ministerrat“, ein Forum skandinavischer Länder und Regionen, hat 2019 eine Studie zu den sozioökonomischen Auswirkungen von PFAS vorgestellt. Die Studie schätzt allein die Gesundheitskosten durch PFAS-bedingte Erkrankungen auf mindestens 50 Milliarden Euro in der EU und bringt rund 12000 Todesfälle in den direkten Zusammenhang mit PFAS. Langkettige Ewigkeitschemikalien reichern sich in Organismen an und werden kaum ausgeschieden. Im Körper binden sich die Stoffe an Proteine im Blut, in Niere und Leber. Dort bleiben sie jahrelang und können ihre schädigende Wirkung entfalten. Während der Schwangerschaft werden sie über die Plazenta auf das ungeborene Kind übertragen und später auch über die Muttermilch weitergegeben. Sie lassen sich inzwischen weltweit in Böden und im Trinkwasser nachweisen.
In der Umgebung der badischen Stadt Rastatt sind 480 Hektar ehemaliger Ackerflächen vermutlich durch Düngung mit PFAS-verseuchten Schlämmen aus der Papierproduktion kontaminiert. Im bayerischen Manching, dem größten Übungsflugplatz der Bundeswehr, haben Löschschäume auf 600 Hektar Böden verseucht. Untersuchungen ergaben bei Testgruppen deutlich erhöhte PFAS-Werte.
Besonders perfide ist der Einsatz von PFAS da, wo der Verbraucher glaubt sehr umweltbewusst zu handeln: bei Lebensmittelverpackungen aus nachhaltigen Rohstoffen. Für diese Produktgruppe gibt es bisher nur in Dänemark einen Grenzwert. Bei einer Stichprobe des Hessischen Rundfunks blieben nur drei von acht Verpackungen unter diesem Grenzwert. Eine Salatschale aus Zuckerrohr überschritt ihn um das 50fache.
Autor: Rudolf Prott
Den sehr ausführlichen und kompletten Beitrag finden Sie in diesem pdf: Ewigkeitschemikalien_04_24
Quellen:
Bundestagsdebatte über PFAS am 18.1.2024
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw03-de-alkylsubstanzen-983248
FAQ des Umweltbundesamtes zu PFAS
https://www.bmuv.de/faqs/per-und-polyfluorierte-chemikalien-pfas
Fraunhofer-Magazin 4/2023, Seiten 38 – 47
https://www.fraunhofer.de/de/forschung/aktuelles-aus-der-forschung/pfas.html
ARD Ratgeber vom 30.10.2023 PFAS – Gift für die Ewigkeit. Wie abhängig sind wir?
Tagesschau vom 23.2.2023
https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/tagesschau_20_uhr/video-1160069.html
mit interaktiver Deutschlandkarte: Wo PFAS überall Deutschland verschmutzen
https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/pfas-chemikalien-deutschland-101.html
Bayerischer Rundfunk Reihe Unkraut vom 3.4.2023 Der Skandal um das Umweltgift PFAS: Auf ewig in der Natur?
Hessischer Rundfunk Die Ratgeber vom 22.2.2023 Gefahr durch „Ewigkeitschemikalien“ – PFAS sollen verboten werden
Studie zu PFAS in Lebensmittelverpackungen
https://chemtrust.org/wp-content/uploads/PFASreport_FCM_May2021.pdf
Studie zu PFAS im Blutplasma von Kindern und Jugendlichen
Betrachtung aus ärztlicher Sicht (Prof. Dr. Andreas Halder)
https://dgou.de/aktuelles/detail/pfas-forever-chemicals-fluch-oder-segen
3M schließt Vergleich und kündigt Ausstieg an
PFAS in Zukunftstechnologien
Empfehlung zu Löschmitteln
https://www.feuerwehrverband.de/app/uploads/2023/02/DFV-AGBF-FE_Einsatz_Schaummittel_02.23.pdf
So funktionieren EU Konsultationen