Kein Fall für die Wissenschaft
Vor achtzig Jahren mahnte der amerikanische Wildbiologe Aldo Leopold bereits eindrucksvoll zur Besinnung: „Wenn die Schöpfung im Laufe der Äonen etwas aufgebaut hat, wer anderes als ein Tor würde scheinbar nutzlose Teile wegwerfen? Jedes Zähnchen und Rädchen aufzubewahren ist die erste Vorsichtmaßnahme allen intelligenten Herumbastelns.“
Inzwischen glauben die Menschen, dass die Lösung ökologischer Probleme in erster Linie ein Fall für die Wissenschaft geworden ist. Ich sehe das genau umgekehrt: Die Wissenschaft ist das stärkste Hindernis für die Lösung dieser Probleme. Solange Wissenschaft und Ethik zwei getrennte Begriffe sind, wird sich an der Talfahrt des Lebens nichts ändern. Der Hochmut der Gentechnologie macht dies auf krasse Weise deutlich. Früher gab es in Asien über 300 verschiedene Reissorten, heute teilen sich einige Großkonzerne den Markt mit wenigen genmanipulierten Pflanzen. Die Folge ist, dass die erzwungenen Monokulturen ganze Landstriche veröden lassen.
Man muss die Wissenschaft endlich von ihrer Selbsttäuschung befreien, dass sie nur von objektiven Fakten ausgehe. Anderseits muss Ethik von der Auffassung frei werden, sie handele nur von subjektiven Werten. Die ökologische Krise ist die Quittung für eine Denkweise, die sich aus einer spezifischen Form der Wissenschaft – also nicht aus der Wissenschaft schlechthin – und einer spezifischen Form der Ethik – nicht der Ethik schlechthin – gespeist hat. Wenn sich Wissenschaft und Ethik nicht in wechselseitiger Beziehung begreifen, werden wir keine Lösungen finden.
Die Analyse der Umweltpolitik und des Umweltrechts eignet sich in ganz besonderer Weise, um den Misserfolg der herkömmlichen Denkweise zu belegen. Nirgendwo kommen gesellschaftlich verbindliche Normen und Werte so klar zum Ausdruck wie in den Programmen und Gesetzen staatlicher Umweltpolitik. Und nirgendwo spielen die wissenschaftlichen Erkenntnisse politisch eine so wichtige Rolle wie dort. Unser gesamtes gesellschaftliches Verhalten wird durch Politik und Recht gesteuert. Wie dieses Steuerungssystem in Bezug auf den Umgang der Gesellschaft mit der Natur gestaltet ist, das heißt, wie es wissenschaftliche Daten und allgemeine Wertvorstellungen aufnimmt und verarbeitet, ist deshalb von schicksalhafter Bedeutung für uns alle.
Es sind die ideologischen Barrieren der bis zum heutigen Tage betriebenen Formen des Umweltschutzes, die erkannt und beiseite geräumt werden müssen. Es geht darum, die Brille des alten Umweltschutzes, der eigentlich nur Menschenschutz bedeutet, abzunehmen und durch die Brille der ganzheitlichen Ökologie zu ersetzen. Sie erst lässt uns erkennen, dass die Umwelt nichts ist, was außerhalb von uns existiert, sondern dass wir Teil einer einzigen und einzigartigen Welt sind.
Es ist schon ein erbärmliches Zeugnis, wenn man das den Menschen in Erinnerung bringen muss. Weit vor unserer angeblich so aufgeklärten Zeit haben ganze Kulturen in dem Bewusstsein gelebt, dass alles Seiende beseelt ist. Die Pueblo-Indianer hatten nicht einmal ein Wort für Religion. Das ganze Leben war Religion für sie. Sie glaubten, wer Tiere und Pflanzen nicht achtet, verliert auch die Achtung vor den Menschen. So ist es ja auch gekommen…