Ein Abgrund von Ratlosigkeit
Die Arbeit an meinem Buch „Das Titanic-Syndrom – Interview mit der Presse“ geht voran. Die Gespräche mit 24 deutschen Spitzenjournalisten sind so gut wie terminiert. Gestern hatte ich meine fünfte Begegnung. Ich traf Cordt Schnibben, Ressortleiter Gesellschaft beim Spiegel. Das Treffen fand in dem neuen Verlagsgebäude des Spiegel in der Hafencity statt. Wenn ich in Zukunft mit meiner Heimatstadt Hamburg angeben möchte, führe ich meine Besucher am besten in Cordts Büro. Der Ausblick aus dem 13. Stock ist atmenberaubend schön.
So aufregend wie der Blick auf die Stadt gestaltete sich auch die Aussicht auf das, was wir nach Meinung meines Gesprächspartners demnächst zu erwarten haben. Nun muss man wissen, dass Cordt Schnibben Wirtschaftswissenschaften studiert hat. In dieser Woche erschien der Spiegel mit der Titelgeschichte „Die Geldbombe – Wie aus einer großen Idee eine Gefahr für Europa werden konnte“, die unter Leitung Schnibbens zustande kam und in der die Hintergründe zum Euro-Desaster erklärt werden. Ein starkes Stück, ohne Zweifel. Noch stärker aber fand ich, was mir Cordt in unserem Gespräch anvertraute. Hier einige wenige Sätze, die ich direkt vom Tonband zitiere:
„Wenn das Buch erscheint, dann wird dem Leser das, was wir hier bereden, als vollkommen überholt erscheinen. Ich lebe im Moment in dem Gefühl, dass in den nächsten drei, vier Monaten in Europa Sachen passieren werden, die meine Vorstellungskraft übersteigen. Davor muss man keine Angst haben, das muss kein Bürgerkrieg sein. Journalisten lernen zur Zeit in einer Geschwindigkeit, die dazu führt, dass sie Dinge, die sie vor kurzem noch nicht zu denken gewagt hätten, plötzlich denken müssen. Die Eurogeschichte haben wir mit zwölf Kollegen recherchiert. Wir haben mit Insidern wie Kenneth Rogoff gesprochen, den früheren Chefökonom des IWF, mit griechischen Politikern, mit Leuten aus Brüssel und Berlin, mit Hans Eichel, Peer Steinbrück usw. Wenn du die am Rande des Gesprächs, also nicht offiziell, gefragt hast: wie glauben Sie denn, dass es weiter geht? Dann hast du in einen Abgrund von Ratlosigkeit geblickt. Bei allen. Bei allen.“
Wie heißt es in der Spiegel-Geschichte? „Europas Politiker haben sich und ihre Völker in eine Lage manövriert, die manchen von ihnen mehr Angst macht als ihren Wählern – weil die Politiker schon wissen, was die Wähler noch nicht einmal ahnen.“