Die Angst des Autors vor der Arbeit
Am Dienstag führe ich in München das erste Gespräch für mein neues Buch „Das Titanic-Syndrom – Interview mit der Presse“. Die Arbeit wird mich die nächsten zehn Monate voll in Anspruch nehmen. Und wie vor jeder größeren Aufgabe bin ich auch diesmal voller Zweifel, ob ich meinen Ansprüchen gerecht werde. Zwar verfüge ich über genügend Erfahrungen mit Interviews, ich weiß, wie man Leute aus der Reserve lockt, aber diesmal geht es ja nicht um Gott und die Welt, diesmal geht es explizit um das Thema Ökologie und darum, wie deutsche Spitzenjournalisten die dramatische Situation, die unser Wirtschaftssystem fortlaufend provoziert, gewichten und wie sie ihre journalistische Verantwortung in dieser Situation definieren und wahrnehmen.
Der Hoffmann und Campe Verlag, der das Buch im Herbst nächsten Jahres herausbringen wird, hofft, dass das „Titanic-Syndrom“ eine Debatte über das Verantwortungsbewusstsein der Medien anstoßen wird. Das hoffe ich auch. Aber um die erwünschte Debatte zu eröffnen, müssen meine Gesprächspartner erst einmal „blank ziehen“, wie man sagt. Sie müssen bereit sein, über die Defizite der Medien zu sprechen, die sich ja mehrheitlich als Teil der Unterhaltungsindustrie begreifen, denn auch das Mediengeschäft ist in erster Linie ein Geschäft.
Wenn die Gespräche wirklich fruchtbar verlaufen sollen, braucht es auf Seiten meiner Interviewpartner ein Problembewusstsein. Sie sollten zumindest anerkennen, dass sich unser Leben, falls wir denn so weiter machen wie bisher, dramatisch verändern wird. Und zwar auf den unterschiedlichsten Ebenen: im politischen, im sozialen, im medizinischen Bereich ebenso wie im kulturellen Leben. Die Phänomene der Endzeit werden unseren Alltag sozusagen auf natürliche Weise durchdringen, auch wenn das Wort natürlich in diesem Kontext aberwitzig anmutet. Aber es ist nun einmal ein Naturgesetz, dass auch einstürzende Systeme ihre Dynamik besitzen. Der von den Menschen längst eingeleitete Ökokollaps geht an den Nerv allen Lebens. Nichts wird mehr so sein, wie wir es heute vorfinden. Man muss gar nicht radikal denken und handeln, um es mit radikalen Ergebnissen zu tun zu bekommen. Für gewöhnlich reicht die pure Ignoranz einer Gefahr, um sich ihr unversehens gegenüberzusehen.
Werde ich in diesen Punkten auch nur annähernd Einigkeit erzielen können? Jeder meiner Gesprächspartner steckt bis zum Hals in Arbeit, in Pflichten und Abhängigkeiten. Was kann ich von Medienleuten erwarten, die sich mit jeder kritischen Äußerung gegenüber dem Medienbetrieb der Gefahr aussetzen, als Nestbeschmutzer zu gelten und ihrer eigenen Karriere im Wege zu stehen?
Vielleicht sehe ich zu schwarz, vielleicht ist meine Skepsis auch nur der Nervosität geschuldet, die mich vor jeder großen Aufgabe befällt – gleich einem Schauspieler, der auch nach fünfzig Jahren noch Lampenfieber bekommt, wenn er die Bretter betritt, die ihm die Welt bedeuten. Also lassen wir uns überraschen. Dass ich nun gestern im Erinnerungsbuch des großen spanischen Regisseurs Luis Bunuel (Titel: „Mein letzter Seufzer„) rein „zufällig“ auf folgende Passage traf, trägt aber nicht zu meiner Beruhigung bei:
„Die Trompeten der Apokalypse ertönen schon lange vor unseren Toren, und wir verstopfen uns die Ohren. Diese neue Apokalypse galoppiert, wie die alte, in Gestalt von vier Reitern heran, die Überbevölkerung – als erstem, als dem Anführer, der das schwarze Banner schwenkt – der Wissenschaft, der Technik und der Medien. All die anderen Übel, die über uns herein brechen, sind nur deren Folgen. Die Medien rechne ich ohne Zögern zu den apokalyptischen Reitern. Sie sind der bösartigste der vier Reiter, denn er folgt den drei anderen auf dem Fuße und ernährt sich von dem, was sie hinterlassen. Würde ein Pfeil ihn niederstrecken, so würde der Ansturm, der uns erwartet, bestimmt noch etwas aufgeschoben werden.“