… und immer wieder lockt die Tiefsee!
Über Manganknollen und den Tiefseebergbau haben wir hier schon berichtet. Eine Meldung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung 1) lässt jetzt aufhorchen: dieses Thema steht aus einem neuen Grund schon wieder im Fokus:
Ein Team um Professor Sweetman von der Scottish Association for Marine Science (SAMS) machte bei Forschungsarbeiten im Pazifik eine Entdeckung, die vielleicht sogar die Frage aufwerfen könnte, wie das Leben auf der Erde entstand: die des „dunklen Sauerstoffs“.
Die Entdeckung in dunklen 4000 Metern Tiefe stellt den wissenschaftlichen Konsens in Frage, wie Sauerstoff produziert wird. Pflanzen und Algen nutzen Energie aus Sonnenlicht, um den Sauerstoff der Erde bei der Photosynthese zu erzeugen. Aber die veröffentlichten Forschungsergebnisse 2) haben gezeigt, wie Sauerstoff auch ohne Licht in völliger Dunkelheit am Meeresboden erzeugt werden kann. Die gemessenen Sauerstoffkonzentrationen waren mehr als dreimal so hoch wie erwartet.
Bisher ging man davon aus, dass Cyanobakterien und ihre Ansammlung auf Stromatolithen über Millionen Jahre für die Sauerstoffversorgung der Erde verantwortlich waren. Sweetman stellt sich nun die Frage: Wo könnte das sauerstoffbasierte Leben tatsächlich begonnen haben?
Die Entdeckung wurde bei der Probeentnahme am Meeresboden der Clarion-Clipperton-Zone 3) gemacht. Diese Zone erstreckt sich zwischen Mexiko und Hawaii über 7.200 km von Ost nach West entlang dem 10. Breitengrad und umfasst etwa 4,5 Millionen km². Sie ist durch ungewöhnlich gebirgige tektonische Bruchzonen gekennzeichnet. Es gibt dort am Meeresboden eine Fülle und Vielfalt an Leben. Mehr als die Hälfte der 2016 gesammelten Arten waren für die Wissenschaft neu. Die Forschergruppe war eigentlich vor Ort, um die möglichen Auswirkungen des Tiefseebergbaus zu bewerten. Mit dieser Technik sollen Manganknollen „geerntet“ werden. Sie enthalten auch andere Metalle wie Nickel, Kobalt, Lithium und Kupfer die unter anderem für Lithium-Ionen-Batterien in Elektrofahrzeugen und Mobiltelefonen benötigt werden.
In Experimenten fanden die Forscher Knollen, die eine hohe elektrische Ladung trugen, was dazu führen könnte, dass Meerwasser in einem Prozess namens Meerwasserelektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff aufgeteilt wird. Dafür wird nur in etwa die Spannung einer typischen AA-Batterie benötigt. Das Team zeichnete Spannungen von bis zu 0,95 Volt auf den Oberflächen einiger Knollen auf. Bei zusammengeballten Knollen könnten damit signifikante Spannungen auftreten.
Professor Sweetman dachte, als das Team diese Daten zum ersten Mal sah, dass die Sauerstoffsensoren fehlerhaft waren, weil jede Studie, die jemals in der Tiefsee durchgeführt wurde nur gezeigt hat, dass Sauerstoff verbraucht wurde, anstatt produziert zu werden. Sie kalibrierten die Sensoren neu, aber die seltsamen Sauerstoffwerte tauchten immer wieder auf. Als selbst eine anders funktionierende Back-up-Methode die gleichen Ergebnisse brachte, wussten sie, dass sie auf etwas bahnbrechendes und unglaubliches gestoßen waren.“
Wegen diesen verblüffenden Resultaten, schaltete das Team den Berliner Chemiker Franz Geiger von der Northwestern University im US-Staat Illinois ein. Er hatte 2019 berichtet, dass Rost in Verbindung mit Salzwasser Elektrizität erzeugen kann. Ein ähnlicher Prozess, so die Vermutung, könnte an der Sauerstoff-Produktion beteiligt sein.
SAMS Direktor Owens ist der Meinung, dass dies einer der aufregendsten Funde in der Ozeanwissenschaft in der letzten Zeit ist. Die Möglichkeit, dass es eine alternative Quelle zur Photosynthese gab, erfordere ein radikales Umdenken. 4)
Entgegen der Euphorie in manchen Medien wird allerdings im Original-Forschungsbericht auch zur Vorsicht gemahnt, da die nichtlineare Produktion von Sauerstoff darauf hindeutet, dass diese möglicherweise nicht kontinuierlicher Natur ist. Darüber hinaus deuten die Breite in den Ergebnissen der Sauerstoffproduktion in ihrer Beziehung zur Knollenoberfläche darauf hin, dass sich die Aktivität mit der räumlichen Dichte und dem Knollentyp ändern kann. Die Hochskalierung der Ergebnisse auf weitere Gebiete ohne zusätzliche Studien wäre somit unklug.
Mehrere Beweislinien deuten aber darauf hin, dass die Sauerstoffproduktion nicht durch experimentelle Einflüsse verursacht wurde. Es wurden mehrere Untersuchungslinien verfolgt, um die Sauerstoffproduktion zu erklären oder auszuschließen:
Sauerstoffhaltiges Wasser aus Tiefseebergflanken führt wegen niedrigeren Sauerstoffsättigungen als in den Messbehältern zu einem Nettoabfluss von Sauerstoff. Das wurde durch Sauerstoffmessungen im Mikrobereich nachgewiesen. Darüber hinaus wurde die Sauerstoffproduktion in versiegelten Behältern im Labor gemessen, was den Eintrag von Sauerstoff ausschloss.
Es ist unwahrscheinlich, dass biologische Mechanismen für den Großteil der Sauerstoffproduktion verantwortlich sind. Während viele dortige Mikroben in der Lage sind z.B. Quecksilber zu entgiften, werden die Gruppen von Individuen, von denen bekannt ist, dass sie dazu in der Lage sind Sauerstoff zu produzieren, durch dessen Hinzufügen getötet.
Der Einfluss auf die Sauerstoffproduktion durch ionisierende Strahlen (Aufspaltung von Wasser) oder durch chemische Reduktion von Manganoxid konnte durch Modellierung physikalisch-chemischer Vorgänge auf einen vernachlässigbaren Anteil (ca. 0,5 %) reduziert werden.
Die Aufspaltung von Meerwasser in Wasserstoff und Sauerstoff unter den Temperatur- und pH-Wert-Bedingungen des Beobachtungsortes erfordert eine Spannung von etwa 1,6 Volt. Dieser Wert kann um mehrere hundert Millivolt gesenkt werden, wenn die Reaktion über einen bestimmten Mechanismus abläuft.
Der Einsatz von Metallkatalysatoren wie Manganoxiden, angereichert mit in den Knollen gefundenen Metallen (z. B. Nickel) und durch große poröse Oberflächen bzw. Angriffsflächen 5) gekennzeichnet, kann die Anlagerung von Reaktionspartnern optimieren und die Leitfähigkeit und katalytische Leistung zur Aufspaltung verbessern. Durch Tests des elektrischen Potenzials zwischen zwei Platinelektroden an 153 Stellen auf den Oberflächen von 12 Knollen konnten Werte bis 0,95 Volt gemessen werden. Auf Basis dieser Studien und weil die Sauerstoffproduktion in Laborbehältern nur bei Manganknollen beobachtet wird, scheint der Sauerstoff teilweise aus der Meerwasserelektrolyse zu resultieren. Die notwendige Energie stammt dann aus der Potenzialdifferenz der Metallionen in den Knollenschichten, was zu einer internen Umverteilung von Elektronen führt.
Während Fragen bezüglich dieses potenziellen Mechanismus bestehen bleiben, wird die „Geo-Batterie“-Hypothese durch die Verbindung zwischen Sauerstoffproduktion und die durchschnittliche Knollenoberfläche unterstützt. Diese Verbindung könnte auf eine größere Fülle von verästelten porösen Schichten mit hohem Nickel- und Kupfergehalt in größeren Knollen zurückzuführen sein. Unter der Annahme, dass die „Geo-Batterie“ teilweise für die beobachtete Sauerstoffproduktion verantwortlich ist, könnte die anfängliche hohe Rate mit der Bugwelle des in die Tiefe herabgelassenen Forschungs-Moduls zusammenhängen, die Sedimente von der Oberfläche der Knollen entfernt und elektrochemisch aktive Stellen auf den Knollen freigesetzt hat. Die Verlangsamung der Sauerstoffproduktion, die später zu beobachten war, könnte dann durch eine Verringerung des Spannungspotenzials und/oder den Abbau von Metalloxid-Katalysatoren verursacht worden sein.
Die Entdeckung hat viele neue Fragen aufgeworfen:
- Was sind die exakten Energiequellen?
- Wie langlebig ist die Sauerstoffproduktion bei gegebener Masse an Manganknollen?
- Wie stabil ist die Katalyse in Bezug auf die Menge und Verteilung der Katalysatormetalle?
- Wie ist der Einfluss verschiedener chemischer Stoffe in den einzelnen Knollenschichten?
- Wie sind die elektrochemischen Bedingungen auf vergrabenen gegenüber exponierten Knollen?
- Kann die Entdeckung einen positiven Einfluss auf die Forschung zu Katalysatoren und zur Energie- und Wasserstoffgewinnung haben?
- und die vielleicht wichtigste Frage:
Wie wirkt sich die Sauerstoffproduktion heute und deren Fehlen nach der „Ernte“ auf das Leben in der Tiefsee aus?
Jetzt sind auch während des möglichen Tiefseebergbaus mehr Untersuchungen zur Produktion von „dunklem Sauerstoff“ erforderlich. Neben Grundlagenforschung geht es um eine Bewertung, wie aufgewirbelte Sedimente aus dem Bergbau den Effekt verändern oder ersticken könnten. Das Verständnis des Mechanismus hinter der Sauerstoffproduktion, seiner zeitlichen Natur und seiner räumlichen Verteilung wird es ermöglichen, seine Rolle in Tiefsee-Ökosystemen besser zu verstehen. Zukünftige Studien zur Sauerstoffproduktion in der Tiefsee könnten auch breitere Beziehungen zwischen Metalloxid-Ablagerungen, biologischer Evolution und der Sauerstoffversorgung der Erde ans Licht bringen.
Autor: Rudolf Prott
Quellen:
1) Meldung des GEOMAR zur neuen Sauerstoff-Quelle in der Tiefsee
https://www.geomar.de/news/article/eine-neue-sauerstoff-quelle-in-der-tiefsee
2) Forschungsbericht veröffentlicht in der Zeitschrift nature vom 22.7.2024
https://www.nature.com/articles/s41561-024-01480-8
3) das Forschungsgebiet
https://de.wikipedia.org/wiki/Clarion-Clipperton-Zone
4) Institutsveröffentlichung des SAMS
https://www.sams.ac.uk/news/sams-news-dark-oxygen-discovery.html
5) zur Wirkungsweise von Katalysatoren
https://www.chemie.de/news/1168767/wirkungsweise-wichtiger-katalysatoren-entschluesselt.html