Meeresschutz: Unmut über Norwegens Pläne zum Tiefseebergbau
Im Frühjahr will Norwegen Lizenzen für die Ausbeutung der Meeresböden versteigern – trotz der Kritik von Wissenschaftlern und EU-Parlament. Der WWF will die Pläne mit einer Klage stoppen.
Kein anderes Land treibt den Tiefseebergbau ähnlich energisch voran wie Norwegen. Nachdem Anfang Januar das Parlament in Oslo dafür gestimmt hatte, große Gebiete zwischen Spitzbergen, Grönland, Island und der Jan-Mayen-Insel für den kommerziellen Abbau von Meeresbodenmineralien zu öffnen, hat das Energieministerium Ende Juni eine erste Lizenzierungsrunde angekündigt. Die Regierung bittet die Öffentlichkeit um Stellungnahmen bis Ende September und will dann Anfang kommenden Jahres 368 Unterwassergebiete versteigern.
Das Gebiet im Nordatlantik, das Anfang des Jahres prinzipiell freigegeben wurde, umfasst 281 000 Quadratkilometer, eine Fläche, die um 40 000 Quadratkilometer größer ist als das Vereinigte Königreich. Die 368 darin enthaltenen Gebiete, für die erste Nutzungsrechte vergeben werden sollen, sind insgesamt rund 100 000 Quadratkilometer groß.
Norwegen will nicht in erster Linie Manganknollen abbauen, wie es bei Tiefseebergbau häufig das Ziel ist, sondern sogenannte Massivsulfide, die Kupfer, Zink, Eisen, Gold, Silber und Blei, aber auch seltene Elemente wie Indium, Zirkonium, Tellur und Wismut enthalten. Man findet sie an sogenannten Hydrothermalquellen, Stellen auf dem Meeresgrund, an denen heißes Wasser aus einer Art Vulkanschlot austritt. Um die wertvollen Metalle zu gewinnen, müsste jeweils der ganze Schlot abgehackt werden.
Mehr als 800 Experten haben einen Protestbrief unterschrieben
Norwegische Geowissenschaftler behaupten, dass in dem gesamten Gebiet rund 45 Millionen Tonnen Zink sowie 38 Millionen Tonnen Kupfer lagern – das wäre das Doppelte der jährlich weltweit geförderten Menge. Der Nationale Geologische Dienst Norwegens (NGU) kritisierte diese Zahlen mit dem Argument, es sei nur ein winziges Gebiet untersucht und die dortigen Bodenschatzfunde einfach auf das gesamte Areal hochgerechnet worden.
Vor der norwegischen Abstimmung hatten 827 Meereswissenschaftler und Politikexperten aus 44 Ländern einen Protestbrief unterschrieben, in dem sie dringend darum bitten, das Deep Sea Mining weltweit zu verbieten, bis man mehr über die biologischen Zusammenhänge der Tiefsee und die Auswirkungen des Deep Sea Minings weiß.
Das EU-Parlament stimmte im Februar mehrheitlich für eine Resolution, die starke Bedenken gegen die norwegischen Pläne zum Ausdruck bringt und mahnte, Norwegens Vorstoß lade Länder wie Russland und China geradezu ein, diesem Beispiel zu folgen.
Norwegen ist zwar nicht in der EU, gehört aber zum Europäischen Wirtschaftsraum EWR, für den die Handelsabkommen, die die EU beispielsweise über Mineralien abschließt, rechtlich bindend sind. Maria Varteressian, Staatssekretärin im Außenministerium, schrieb in einer Antwort, man stehe für „eine wissensbasierte und nachhaltige Meeresbewirtschaftung, die sowohl die Erhaltung als auch die nachhaltige Nutzung der Meeresressourcen in Einklang bringt.“ Wie der Tiefseebergbau nachhaltig vonstattengehen soll, ist freilich ein Rätsel.
Zuerst müsste überhaupt einmal gründlich geforscht werden, fordert der WWF
Lise Øvreås, Professorin für Mikrobiologie an der Universität Bergen, sagte, sie empfinde es „im Moment als peinlich, als norwegischer Forscher in internationalen Foren vertreten zu sein“. Die Präsidentin der Norwegischen Akademie der Wissenschaften beklagte, die Regierung, die doch so gern von wissenschaftsbasierten Lösungen für politische Probleme spreche, würde alle wissenschaftlichen Mahnungen und Bedenken konsequent in den Wind schlagen.
Gefährlich könnte den Unternehmen, die sich um die Lizenzen bewerben wollen, höchstens noch eine Klage des norwegischen WWF werden. Die Umweltorganisation argumentiert, die Folgenabschätzung des Energieministeriums, auf die sich die Regierung bei ihrer Erlaubnis des Tiefseebergbaus stütze, entspreche nicht mal den Mindestanforderungen.
Nie zuvor habe eine norwegische Regierung „wissenschaftlichen Rat so eklatant missachtet und sich über die Warnungen einer vereinigten Meeresforschungsgemeinschaft hinwegsetzt“, erklärte Karoline Andaur, Geschäftsführerin des WWF Norwegen, als sie die Klage in Oslo einreichte.
Der WWF fordert, dass überhaupt erst mal gründlich geforscht werden müsse, bevor man dann fundierte Gutachten darüber erstellen könne, ob Tiefseebergbau erlaubt werden sollte.
Kaja Lønne Fjærtoft, Meeresbiologin beim WWF, betont im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, es werde nach der geplanten Versteigerung der Lizenzen im kommenden Frühjahr fast unmöglich sein, die Ausbeutung der Meeresböden noch zu stoppen. Schließlich zeige die Erfahrung aus der norwegischen Öl- und Gasindustrie, dass man Projekte nicht mehr aufgrund von Umweltbedenken stoppen könne, wenn erst einmal erhebliche Investitionen getätigt worden seien. „Es wurde in all den Jahren kein einziges Öl- oder Gasprojekt vom Parlament abgelehnt. Warum sollte es hier also anders sein?“
Der Prozess zur Klage des WWF findet vom 28. November bis 4. Dezember statt.
Autor: Alex Rühle