Ist der Drops wirklich schon gelutscht?
1993 war es, als der Gründer des Equilibrismus e.V., Eric Bihl, sich vor dem Fernseher dermaßen empörte, dass er spontan von München nach Hamburg reiste, um Dirk C. Fleck die Leviten zu lesen. Was war der Anlass für diesen Schritt? Bihl hatte Fleck in einer Talkshow auf Pro 7 gesehen, in der dieser mit dem Physiker und Zukunftsforscher Prof. Rolf Kreibich in der Sendung „Zwei gegen Zwei“ diskutierte. Thema: Zukunft, Untergang oder Herausforderung. Die Position von Fleck, dessen Buch „GO!-Die Ökodiktatur“ gerade erschienen war, war unmissverständlich und gipfelte in einem saloppen Fazit: „Machen wir uns nichts vor, der Drops ist gelutscht!“
Das konnte Bihl, der gerade mit Volker Freystedt an dem Buch „Equilibrismus – Neue Konzepte statt Reformen für eine Welt im Gleichgewicht“ arbeitete, nicht unwidersprochen hinnehmen. In dem Equilibrismus-Buch sollten schließlich jede Menge Alternativen vorgestellt werden, die bereits erprobt waren und nur von den kapitalen Interessen verhindert wurden. Und zwar in allen Lebensbereichen. Mit anderen Worten: Es gibt noch Hoffnung! Es beginnt, wenn wir anfangen zu handeln! Welche Anstrengungen der Equilibrismus e.V. in den 25 Jahren seines Bestehens bis heute unternommen hat und immer noch unternimmt, darüber gibt diese Website ausreichend Auskunft. Bihl war es sogar gelungen, den „Untergangspropheten“ Fleck als Autor für die Maeva-Trilogie zu gewinnen, die auf der Grundlage des equilibristischen Gedankenguts eine sozio-ökologische Gesellschaft sinnlich erfahrbar macht und zum Longseller wurde.
Der Optimismus all jener, die noch glauben, dass die Menschheit angesichts eines galoppierenden Klimawandels und rasant schwindender Ressourcen zur Besinnung kommen wird, schwindet allerdings ebenso rasant. Gerade hat der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber, ehemals Direktor des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung, verkündet, dass er das 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens für unrealistisch hält. In diesem Klimaabkommen hatte sich die Staatengemeinschaft im Jahr 2015 dazu verpflichtet, die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf deutlich unter zwei Grad Celsius, möglichst sogar auf 1,5 Grad zu begrenzen. Schellnhuber erwartet, dass der Temperaturanstieg im günstigsten Fall knapp oberhalb von zwei Grad gestoppt werden kann.
Aber selbst bei diesem Szenario sei mit „brutalen klimatischen Herausforderungen“ zu rechnen, die große Anstrengungen zur Anpassung erfordern. Dazu zähle ein Meeresspiegelanstieg von mindestens einem Meter, die Aufgabe der Landwirtschaft in Teilen Südeuropas und eine Migrationswelle von Hunderten Millionen Menschen, da die Lebensbedingungen in Äquatornähe zu schlecht würden.
Schellnhuber warnte, dass eine Erwärmung um drei Grad „die rote Linie“ sei, ab der der Klimawandel nicht mehr beherrschbar sein dürfte. „Und leider könnte diese Linie überschritten werden.“ Drei bis fünf Grad bedeuten das „Climate End Game“, die Szenarien gingen hier „bis hin zum Kollaps der Weltwirtschaft und sogar zur Auslöschung der Menschheit“.
Angesichts dieser Aussichten und auf der Grundlage eigener Bemühungen und vergeblicher Aufklärungsversuche, die der Equilibrismus seit seiner Gründung unternommen hat, wollten Bihl und Fleck schon einen kleinen Abgesang unter dem Titel „Dumm gelaufen – eine Entschuldigung an die nächste Generation“ schreiben. Bisher haben sie das Traktat zurück gehalten, weil sie die Hoffnung einfach nicht aufgeben wollen, dass Wirtschaft und Politik angesichts des kollektiven Untergangs doch noch zur Besinnung kommen werden. Das Exposé zu „Dumm gelaufen“ aber ist schon geschrieben, hier einige Sätze daraus:
Die Autoren stellen sich vor und rekapitulieren ihren Weg von engagierten Kämpfern und Aufklärern zu gelassenen Zeitzeugen, die wie viele vor ihnen zu der Einsicht gelangt sind, dass die Menschheit das Wettrennen gegen die galoppierende Katastrophe bereits verloren hat. Warum waren wir nicht in der Lage, trotz der über Jahrzehnte hinweg ergangenen Warnsignale erfolgreich gegenzusteuern? Warum ließen wir es zu, dass unseren Kindern und Enkelkindern nichts als soziales Chaos und verbrannte Erde hinterlassen wird? Was sind unsere größten Unterlassungssünden und wie sind sie zu erklären? Sind sie überhaupt zu erklären? Fazit: das Phänomen der kollektiven Unvernunft kann wohl nur als Teil eines evolutionären Plans erklärt werden, den kein Sterblicher je verstehen wird …