Das Tahiti-Projekt als Drehbuch für die Wirklichkeit
Und wieder einmal ist die Realität auf der Überholspur. Was in unserem Roman „Das Tahiti-Projekt“ noch pure Fiktion war, nimmt in der Wirklichkeit gerade feste Gestalt an. Das kanadische Bergbauunternehmen The Battles Company hat einen Manganknollen-Kollektor entwickelt, eine Erntemaschine, die auf dem Boden der Tiefsee alles an Ressourcen „abgrast“, was den grenzenlosen Hunger unserer Konsumgesellschaft zu stillen verspricht. Ein Forschungsprogramm namens Mining Impact untersucht die zu erwartenden Umweltschäden, die sich durch den Raubbau ergeben. Während die Wissenschaft noch abwartet, ist die Industrie in Goldgräberstimmung. So wirbt The Battle Company bereits in einer großangelegten Werbekampagne für den gigantischen Eingriff in das Ökosystem der Tiefsee. Ihr Slogan: YOU NEED BATTERY TO START ENERGY. Für die Wende zur grünen Energie braucht es mehr Metalle, so die Botschaft.
Es ist erstaunlich, wie weitsichtig die MAEVA-Trilogie in die Zukunft blickt. Hier ein kleiner Auszug aus dem Tahiti-Projekt, wie er aktueller nicht sein könnte:
Wenn Robert McEwen allen Anstand vergaß und seine Gesprächspartner in die Rauchschwaden einer kubanischen Zigarre hüllte, herrschte im Konferenzraum der Konzernzentrale von Global Oil eine Atmosphäre, gegen die sich das jüngste Gericht wie ein Kaffeekränzchen ausnahm. Zu Gast waren der Energieminister der Vereinigten Staaten, sein Kabinettskollege vom Finanzressort sowie der Chef des NSA. Thema: was darf der Präsident wissen? Darf er überhaupt etwas von dem Unternehmen erfahren? McEwen lehnte das entschieden ab. Jeder im Raum wusste, dass Selby nur deshalb im Weißen Haus saß, weil Global Oil es so gewollt hatte.
Finanzminister Hubert Brill zählte alle Faktoren auf, die zu der miserablen Weltwirtschaftslage geführt hatten. Von explodierenden Energie- und Rohstoffpreisen war die Rede, von einer sprunghaft ansteigenden Inflation, vom Rekordleistungsbilanzdefizit, von Derivat- und Hedgefondsproblemen, von der Unruhe auf den Devisenmärkten, insbesondere, was den Dollar betraf. Brill wies auf die Folgen des russischen, indischen und chinesischen Konsumrausches hin, der den Klimawandel in den letzten Jahren extrem beschleunigt hatte, welcher nun rund um den Erdball eine Kette von Naturkatastrophen provozierte, die die Finanzmärkte immer wieder aufs Neue erschütterten. Er erwähnte auch die geplatzte Immobilienblase, die der US-Wirtschaft seiner Meinung nach das Genick gebrochen hat.
„Früher ließ sich das Problem in den Griff kriegen,“ setzte Brill seinen Monolog fort, „zumindest kurzfristig. Durch die Orchestrierung von Kriegen und Terrorismus zum Beispiel. Diesmal wird die Überlebensstrategie der Finanzoligarchie aber nicht fruchten. Es drohen nämlich die Rohstoffe auszugehen, auf denen ein Wirtschaftswachstum nun einmal gründet. Im Südpazifik lagern Milliarden Tonnen metallischer Knollen auf dem Meeresboden. Eine Schatztruhe voller Kupfer, Nickel und Kobalt, um nur einige der so dringend benötigten Rohstoffe zu nennen“, fügte er hinzu. „Die Internationale Meeresbodenbehörde der Vereinten Nationen aber weigert sich beharrlich, diese Schätze zum Abbau freizugeben. So what! Wenn dem so ist, muss man sie sich eben ohne Einverständnis holen!“
„Wie viele Hebetanker wird Global Oil denn insgesamt bauen lassen?“ fragte NSA-Chef Francis D. Copland, der dem Gespräch bisher eher desinteressiert gelauscht hatte.
„Vierundzwanzig,“ antwortete McEwen, „vierundzwanzig gefräßige Schatztruhen, aufgereiht im polynesischen Mangangürtel wie auf einer Perlenkette…“
„Gut“, begann Thorwald Rasmussen und räusperte sich, „ich will versuchen, es Ihnen in wenigen Worten zu erklären. Die Vereinigten Staaten und China sind unabhängig voneinander dabei, in den Hoheitsgewässern Polynesiens nach Manganknollen zu schürfen. Es sind geheime, militärisch abgesicherte Aktionen, mit denen sie sich ihren Rohstoffbedarf für die Zukunft sichern wollen. Und zwar gegen die Bestimmungen der IMB. Die Internationale Meeresbodenbehörde, Sie wissen schon. Ich war Mitglied der zur Geheimhaltung verpflichteten Wissenschaftscrew, die im Auftrage von Global Oil nicht nur die Ergiebigkeit der Knollen geprüft, sondern darüber hinaus die technischen Möglichkeiten zu ihrer Gewinnung entwickelt hat. Wissen Sie beispielsweise, dass in den Knollen neben dem äußerst wertvollen Kobalt, Nickel und Kupfer auch Molybdän und Tellur enthalten sind? Molybdän steckt unter anderem in den Hitzeschildern von Raketen, Tellur wird in Fotozellen eingesetzt. Das ganze Satellitensystem wäre ohne Molybdän und Tellur nicht möglich. Und darum geht es den USA und China in der Hauptsache. Sie streben die Alleinherrschaft im All an, ihr Ziel ist es, die Überwachung des Planeten vollständig an sich zu reißen.“
Der Professor griff sich die Aktentasche und zog eine Karte hervor, die er nun sorgfältig auf dem Tisch ausbreitete. Er fuhr mit dem Finger die Strecke zwischen den Gesellschaftsinseln und der zu Frankreich zählenden Insel Clipperton nahe der mexikanischen Küste ab. „Dies hier nennen wir die Clipperton Fracture Zone,“ sagte er, „dort lagern die größten Manganvorkommen der Welt. Aber nirgendwo ist der Gehalt an Molybdän und Tellur so extrem hoch wie vor den polynesischen Inseln Makatea, Nauru und Banaba. Alle drei Inseln sind im Laufe der Geschichte als Block aus dem Meer gehoben worden, was verstärkt zur Bildung dieser seltenen geologischen Substanzen beigetragen hat. Hinzu kommt, dass die Vorkommen direkt vor den Küsten liegen, während man anderswo bis zu sechstausend Meter tief schürfen müsste.“
Nach einer kleinen Pause fuhr Rasmussen fort: „Die Manganknollen sind etwas sehr Kostbares, es dauert eine Ewigkeit, bis sich so eine faustgroße Knolle gebildet hat. Manganknollen bestehen aus Staub, der auf den Ozean rieselt, in die Tiefe sinkt und sich dort allmählich verdichtet. Ganze fünf Millimeter legen die Knollen in einer Million Jahre zu. Ihr industrieller Abbau birgt eine große Gefahr für die Region. Der gewaltsame Eingriff zerstört die Bodenoberfläche und wirbelt Wolken auf, die sich als schmutzige Schleier an die Strände legen werden. Fauna und Flora im Südpazifik werden sich langfristig ändern. Das aufgewirbelte Bodenmaterial hat Einfluss auf die Lichtverhältnisse im Ozean und bringt mit dem nach oben gepumpten Tiefseewasser das gesamte Nahrungsangebot eines gewachsenen Ökosystems durcheinander. Hinzu kommt noch, dass die Metalle vor Ort aus den Knollen gelöst werden sollen, die Schürftanker sind entsprechend ausgerüstet. Dieser Prozess gelingt aber nur unter Einsatz hochgiftiger Chemikalien und produziert eine Menge unbrauchbarer Rückstände. Wie man diese zu entsorgen gedenkt, brauche ich Ihnen ja wohl nicht zu sagen.“