Die Diktatur der Unaufgeklärten und Manipulierten
In der taz-Ausgabe vom Montag, den 6. Juni wird sich eine Beilage befinden, die von den Redaktions-Praktikanten erstellt wurde. Thema ist, soweit ich es verstanden habe, die „grüne Bewegung“ in Deutschland. Gestern bekam ich einen Anruf des Praktikantenteams, das mich um ein Interview für ihre Beilage bat. Seltsamerweise ging es nicht um das „Tahiti-Projekt“ oder „MAEVA!“, es ging um eine drohende Ökodiktatur und meine Meinung dazu.
Wir hatten ein langes, intensives Gespräch, in dem ich unter anderem gefragt wurde, auf welchem Wege eine Ökodiktatur wohl über uns kommen würde. Die Frage zeigt einmal mehr, dass wir auch in diesem Punkt in klassischen, längst überholten Mustern denken. Eine Ökodiktatur wird nicht plötzlich „über uns kommen“, sie hat nicht das Potential, eine Revolution in Gang zu setzen, die auf eine entsprechende Unterstützung in der Bevölkerung rechnen könnte. Die Ökodiktatur wird scheibchenweise installiert – durch den sukzessiven Abbau demokratischer Freiheiten zum Beispiel, durch die gezielte Zerrüttung unseres Sozialgefüges, durch den dramatischen Raubbau natürlicher Ressourcen, durch die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Daran stricken wir doch gerade.
Und wieder einmal möchte ich aus meinem Vortrag „Die ignorierte Katastrophe“ zitieren, der zwar schon achtzehn Jahre zurück liegt, aber zunehmend an Aktualität gewinnt:
Der Umweltschutzgedanke hat, zumindest in Europa, erheblich an Terrain gewonnen. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir im selben Zeitraum eine Automobilmachung um das Doppelte erleben mussten, dass sich die größtmöglichen Unfälle aus der Nuklear- und Chemieindustrie aneinander reihen wie Perlen auf einer Kette ohne Ende, dass wir im Abfall zu ersticken drohen, dass Böden und Meere nahezu gesättigt sind von Giften, dass durch rege Bautätigkeit das vernetzte Ökosystem weltweit am seidenen Faden hängt (wobei die Landnahme überhaupt noch nicht diskutiert wird), dass wir ein unlösbares Atommüllproblem vor uns herschieben, dass Wissenschaft und Forschung als die vermeintlichen Retter einen Freifahrtschein für Genmanipulationen erhalten haben – all dies widerspricht der These, wir seien mit aufklärerischen Mitteln in der Lage, auf demokratischem Wege Mehrheitsverhältnisse zu schaffen, die auch nur das Schlimmste verhüten mögen.
Die Menschen, das steht fest, sind dem Druck der niederschmetternden Sachinformationen nicht mehr gewachsen. Aber solange wir nach dem Motto verfahren: „Mein Kind schielt nicht, es soll so gucken“, solange wir die Tatsachen leugnen anstatt eine radikale Problemlösung zu suchen, können wir bei künftigen Generationen kaum auf Verständnis hoffen. Sie werden uns als Verbrecher outen, ihre Ökodiktatur brocken wir ihnen gerade ein. Je eher wir uns an den Gedanken gewöhnen, dass es zwingend notwendig geworden ist, die heiligen Kühe unserer auf Gewinnmaximierung bedachten Unkultur zu schlachten, desto größer ist die Chance, den Frieden zwischen den Generationen einigermaßen zu retten.
Die Freiheit des Einzelnen, die wir ja ohnehin nur noch als Konsumfreiheit definieren, darf es in dieser Form in Zukunft nicht mehr geben. Wenn der Soziologe Ulrich Beck also fordert, dass die Umweltschutzbewegung ein Stück Machiavellismus braucht, so meint er im Grunde nichts anderes, als dass die demokratische Entscheidungsfindung, die heute über das Diktat der Unaufgeklärten und Manipulierten zustande kommt, durch das Diktat der Vernunft ersetzt werden muss.