Günther Grass : radikal daneben
Das Hamburger Abendblatt sorgte letztes Wochenende mit einem Interview bundesweit für Aufmerksamkeit. Übertitelt war das Stück mit den Worten „Grass warnt vor Ökodiktatur“. Auf die Frage, ob er glaube, dass Atomenergie heute das wichtigste Thema sei, antwortet der Literatur-Nobelpreisträger:
„Wissen Sie, das gibt es nicht, EIN wichtigstes Thema. Das Ende der Ressourcen etwa, das Ende des Wachstums, die Globalisierung, die Wasserknappheit, das alles ist genauso wichtig. Die Gefahr ist, dass sich in naher Zukunft all das zusammenballt. (…) Meine schlimmste Befürchtung ist, dass wir eine Öko-Diktatur bekommen. Wir müssten dann mit Notstandsverordnungen leben.“
Der Interviewer des Hamburger Abendblattese meint darauf hin: „Das heißt, nur eine Diktatur kann gegen solche Katastrophen vorgehen, weil die Demokratie so lange diskutiert, bis das Problem…“
„Grass: … jetzt machen Sie einen gewaltigen Schritt. Nein, wir müssen auf demokratische Art und Weise die Politiker wieder handlungsfähig machen und den Einfluss der Lobby begrenzen.“
Grass gibt an, radikaler geworden zu sein – auch weil sich durch die fortschreitende Globalisierung die Problematik aus dem nationalen Bereich heraus verlagert habe: „Das ist eine zweischneidige Sache: Auf der einen Seite wissen wir, um auf das atomare Problem zurückzukommen, dass das nur weltweit zu regeln ist. Aber es gilt auch, gleichzeitig national zu argumentieren: Man muss zu Hause anfangen.“
Interessant, findet ihr nicht? Da kommt jemand in der Analyse zu den richtigen, zu den erschreckendsten Ergebnissen und was schlägt er zur Abwendung des globalen Ökozids vor? „Wir müssen auf demokratische Art und Weise die Politiker wieder handlungsfähig machen.“ Ja super, Günter, und das natürlich weltweit. Ich meine, wie verblendet muss man sein, um im Kampf gegen kollabierende Wirtschafts-, Polit- und Ökosysteme darauf zu setzen, dass der Einfluss der Lobbyisten auf die Politik nachlässt, möglichst sofort, und die Politiker ein Problembewusstsein entwickeln, das jede Meinungsverschiedenheit im Interesse eines schnellen, energischen Handelns verbietet. Weltweit wohlgemerkt.
Wie sagte Cording im „Tahiti-Projekt“? „Unsere zaghaften Versuche, den Ökozid abzuwenden, kommen mir vor, als würden wir am Strand einem herannahenden Tsunami mit der Kraft unseres Atems Einhalt gebieten wollen. Wer ihn lediglich wegzupusten versucht, macht zwangsläufig Bekanntschaft mit ihm …“
Ich würde mit Grass gerne diskutieren, hart aber fair – bei Illner, Maischberger oder Will. Ich würde gerne das „Tahiti-Projekt“ als Alternative ins Gespräch bringen und das, was „Maeva!“ predigt. Und wenn dann, wovon auszugehen ist, in der Runde Widerspruch erwächst, weil ein radikaler Paradigmenwechsel zum Positiven hin die Vorstellung meiner Gesprächspartner übersteigt, würde ich, quasi als Alternative, für die Ökodiktatur plädieren. So wie ich es vor achtzehn Jahren schon einmal gemacht habe, als ich permanent missverstanden wurde. Denn die Erde interessiert es nicht, ob wir über ihren Zustand verschiedener Meinung sind oder nicht – sie krepiert gerade. Wir sind verpflichtet zu handeln, und zwar schnell. So oder so…