Wer von uns hat schon gerne recht?
Die Ereignisse in den AKWs Japans waren vorhersehbar, wie vieles andere auch, was die „freie Marktwirtschaft“ auf die Beine stellt, um größtmöglichen Profit zu erwirtschaften. Für meinem Roman „GO! – Die Ökodiktatur“ (1993 erschienen) wurde ich von den Medien als „Schwarzmagier“ abgestempelt. Aber bereits heute haben sich viele „Prophezeiungen“ aus dem Buch (das ja erst im Jahre 2040 spielt) bewahrheitet oder scheinen sich zumindest zu bewahrheiten.
Die „Festung Europas“ beispielsweise, die sich gegen Umwelt- und Armutsflüchtlinge zur Wehr setzt. Was sich im Eingangskapitel des Romans im Mittelmeer abspielt, ist von der Realität fast eingeholt. Und die Argumente, die in einem Schauprozess gegen einen ehemals hochrangigen Manager der Atomindustrie vorgebracht werden, scheinen aktueller denn je. Im „Tahiti-Projekt“, das ja durch einen positiven Grundton geprägt ist und das im Jahre 2022 spielt, bin ich dennoch nicht umhin gekommen, den nächsten Gau zu prognostizieren: die Kernschmelze im AKW Fessenheim, die weite Teile Frankreichs und Deutschlands verstrahlt hat. Warum ich das geschrieben habe? Vielleicht, um dem irrsinnigen Argument, dass so etwas wie in Tschernobyl oder Japan bei uns natürlich nicht passieren kann, entgegen zu wirken.
In MAEVA! (das Buch spielt im Jahre 2028) war ich erneut gezwungen, so etwas wie eine literarische Hochrechnung anzustellen. Und wieder ist die Atomindustrie ein Thema, diesmal in Südafrika, wo der Staat die Armee einsetzt, die unter einer Million Demonstranten ein Blutbad anrichtet. Auf ihrer Reise nach China besichtigt Maeva aus dem Hubschrauber heraus das Katastrophengebiet um den ehemaligen Drei-Schluchten-Damm, der durch ein Erdbeben vernichtet wurde. Hier ein Auszug aus dem Kapitel. Achtet auf die Parallele zu Japan:
„Was ist das für ein widerlicher Gestank?“, fragte Cording und hielt sich die Nase zu.
„Leichengeruch“, antwortete Westerstede, „wenn wir tiefer gingen, würden sie ohnächtig aus der Kanzel fallen…“
„Wollen Sir etwa andeuten, dass die viele Feuer — ich meine, dass an den Feuern dort unten …“
„Ganz recht. Wir bestatten in Tag- und Nachtschichten. Vierzig Millionen Tote entsorgt man nicht von heute auf morgen.“
Maevas Gesichtshaut zuckte wie unter einem Stromschlag. Aber konnte man Westerstede die zynischen Bemerkungen übel nehmen? Der Mann hatte seine Zelte in der Hölle aufgeschlagen. Sie flogen in Richtung der Stelle, an der das Erdbeben die gigantische Staumauer ausgehoben hatte. Vor ihnen lagen die Schluchten Qutung, Wuxia und Xiling, die als Chinas Märchenkulisse galten und denen die Flutung und später das Beben enorm zugesetzt hatten. „Die eigentliche Gefahr drohte dem Damm aus dem bergigen Hinterland“, sagte Westerstede in Steves Kamera hinein, „ein mögliches Erdbeben, vor dem die Seismologen gewarnt hatten, ignorierten die Verantwortlichen, das tut die Atomindustrie auch, überall auf der Welt, das ist normal. Dabei war bekannt, dass das Gewicht der aufgestauten Wassermassen ein Erdbeben begünstigen würde. Wissen Sie, was die Antwort der Regierung war? Das Bauwerk ist erdbebensicher, jedenfalls bis zur Stärke 7. Dass es am Ende 7,4 auf der Richterskala wurden – so what, wer konnte das denn ahnen …“
Aus: MAEVA! – Seite 127