Die Blaupause für eine ökologische Wende ist längst geschrieben
Vor kurzem bekam ich über die Kontaktadresse meiner Website Post aus Neuseeland. Absender war Klaus Bosselmann, seit 1988 Professor für Umwelt und Völkerrecht an der Universität Auckland. Nun muss man wissen, dass Klaus Bosselmann einer meiner Heroes ist. Dies hat mit seinem Buch zu tun, das 1992 im Scherz Verlag erschien, im selben Jahr also, als mein erster Roman „Palmers Krieg“ veröffentlicht wurde, in dem ein Ökoterrorist einen gekaperten Supertanker vor das UN-Gebäude in New York steuert und mit der Sprengung droht, wenn nicht sämtliche Fernsehanstalten der USA für eine Woche ihr Programm einstellen, um CBS die Möglichkeit zu geben, das Publikum unter Anleitung von Wissenschaftlern und Umweltschutzgruppen über den wahren Zustand des Planeten aufzuklären.
Klaus Bosselmann schien damals von der gleichen Sorge gepeinigt wie ich. Allerdings sah er noch Auswege aus der Krise, die ich nicht mehr zu erkennen vermochte. Mit seinem Buch „Im Namen der Natur. Der Weg zum ökologischen Rechtsstaat“ lieferte er die Blaupause für einen radikalen, weil notwendigen, Umbau der globalen Zivilgesellschaft. Der Mensch, so Bosselmann, darf sich nicht mehr als das Maß aller Dinge begreifen, er muss lernen, sich als Teil der Natur zu sehen. Er muss ihren Eigenwert anerkennen und ihn zur Grundlage persönlichen und gesellschaftlichen Handelns machen.
Das Buch „Im Namen der Natur“ ist in vier Teile gegliedert.
Teil eins: Die neue Sicht der Wirklichkeit
Teil zwei: Das Ende des Industriesystems
Teil drei: Das System schlägt um
Teil vier: Die neue Ordnung
Im dritten Teil finden sich die Kapitel „Menschenrechte – Mitweltrechte“, „Abschied von der Anthropozentrik“, „Die veränderte Einstellung zur Natur“. Ein Kapitel im vierten Teil fasst dann die ganze Botschaft des Autors zusammen: „Eine Politik für die Erde“.
In seinem Schlusswort schreibt Klaus Bosselmann: „Auch die neue Ordnung ist kaum mehr als eine Metapher für eine Überlebensstrategie, deren Inhalte wir erst mühsam erarbeiten müssen. Und doch gibt es eine einfache Antwort auf die Frage, was wir zu tun haben: Wr müssen in unserem Alltag, und wo immer einzelne Verantwortung tragen, eine zusätzliche Verantwortung akzeptieren. Wenn Eltern im Namen ihrer Kinder handeln, Ärzte im Namen ihrer Patienten, Anwälte im Namen ihrer Mandanten, Journalisten im Namen ihrer Leser, Regierende und Richter im Namen des Volkes usw., dann sollte jeder einzelne sich aufgerufen fühlen, auch im Namen aller Menschen (heutiger und künftiger Generationen) und des Lebens schlechthin, kurz der lebendigen Natur zu handeln. Im Namen der Natur zu leben bedeutet, unser wahres Selbst zu entdecken. Und dieses Selbst wird sich eine andere Ordnung schaffen als die bisherige der Naturzerstörung. Die neue Ordnung wird kommen, wenn wir es wollen, genauer, wenn wir zur Kenntnis nehmen, welche tiefgreifenden Veränderungen sich in der Welt derzeit vollziehen. Die globale Revolution ist unumgänglich!“
Ist es nicht erfrischend, solche Worte zu vernehmen? Ich finde es wunderbar, dass jemand so unbeirrt und voller Zuversicht auf die Bewusstwerdung einer Spezies setzt, die nach wie vor in allen Lebensbereichen daran arbeitet, unsere fantastische Erde in die Tonne zu treten. Bisher kommen mir solche Postulate der Hoffnung jedoch vor, als würden wir auf einem Strand noch schnell ein Bündel Seegras pflanzen, um dem heran nahenden Tsunami die Stirn zu bieten.
Aber natürlich hat Klaus Bosselmann recht, wenn er sagt, dass eine bessere Welt nur möglich ist, wenn wir zu einer grundsätzlich anderen Lebens- und Weltanschauung finden. Die Frage ist nur, ob uns noch genügend Zeit bleibt, um uns der Lage wirklich bewusst zu werden. Die Krise, in der wir uns befinden, ist eine Krise der Herzen, und die ist nicht mal eben so leicht zu beheben. Wir wissen einfach nicht mehr, woran wir uns orientieren sollen, es ist ein moralischer Kollaps, den wir erleben. Die Beziehungen zwischen uns Menschen und den Pflanzen, Tieren und Wesenheiten unserer Mitwelt sind zerbrochen. Weil wir den Dünkel besaßen, uns selbst in den Mittelpunkt der Schöpfung zu stellen. Wir haben uns abgenabelt vom Leben, wir schätzen und schützen es nicht, wir nehmen unsere Mitwelt ausschließlich als Beute wahr.
Um aber nicht wieder als ewiger Nörgler und Pessimist abgestempelt zu werden, will ich einige Sätze aus meinem Roman MAEVA zitieren, die sich doch sehr mit der optimistischen Sichtweise Klaus Bosselmanns decken. In ihrer Inaugurationsrede als Präsidentin der URP (United Regions of the Planet) sagt Maeva folgendes:
„Angesichts der Wahrheiten, die es heute zu konfrontieren gilt, fühlen wir uns so klein und zerbrechlich, dass wir glauben, es würde uns in Stücke reißen, sobald wir uns erlaubten, unsere Gefühle über den Zustand der Welt zuzulassen. Wir befürchten eine tiefe Depression oder Lähmung. Aber das Gegenteil ist der Fall. Wenn wir den Schmerz, den wir für die Welt empfinden, unterdrücken, dann isoliert uns das. Wenn wir ihn jedoch akzeptieren, anerkennen und darüber sprechen, dann merken wir, dass er weit hinaus geht über unser kleines Ego, dann erfahren wir durch ihn eine größere Identität, dann wird er zum lebendigen Beweis unserer Verbundenheit mit allem Lebendigen. Unser Schmerz um den Zustand der Welt und unsere Liebe für die Welt sind untrennbar miteinander verbunden, sie sind zwei Seiten derselben Medaille.
Zum ersten Mal in unserer Geschichte sind wir mit der selbstverursachten Zerstörung aller biologischen Lebensgrundlagen konfrontiert. Keine Generation vor uns hatte eine solche Bedrohung auszuhalten. Die eigentliche Frage, die wir uns also zu stellen haben, lautet: kollektiver Selbstmord oder geistige Erneuerung? In dieser Frage liegt eine ungeheure Chance. Die Menschen hungern förmlich nach einer positiven Perspektive.
Wir müssen uns fragen: Was wollen wir? Wer sind wir? Was brauchen wir? Indem wir uns dies fragen, schulen wir nicht nur unsere Wahrnehmung, wir formulieren auch unsere Bedürfnisse neu. Es gibt inzwischen viele Menschen auf der Welt, die diesen Bewusstseinswandel vollzogen haben, und täglich werden es mehr. All das passiert in einem ungeheuren Tempo, und es passiert jetzt. Die Vertreter des alten Systems wissen das. Sie wissen, dass ihre Richtlinien, Normen und Werte nicht mehr funktionieren. Ein solcher Wertezusammenbruch macht zunächst einmal Angst. Wir haben Angst vor Chaos und Anarchie, Angst davor, unterzugehen in diesem Endzeitszenario, in dem sich jeder gegen jeden zu behaupten versucht. Aber nicht wir sind dem Tode geweiht, es sind unsere alten Sicht- und Handlungsweisen die sterben. Im Grunde müssen wir heute zwei Aufgaben zugleich bewältigen: als Sterbebegleiter für ein abgewirtschaftetes System und als Geburtshelfer für eine neue Kultur. Wenn es uns gelingt, eine positive Zukunftsvision in uns erblühen zu lassen, dann werden wir sie in der praktischen Politik auch umsetzen können. Denn es wird nichts Neues durch uns in die Welt kommen, was nicht vorher in unserem Bewusstsein Gestalt angenommen hat“.
Sein Einverständnis voraus setzend möchte ich zum Schluss einige Passagen aus der E-Mail zitieren, die Klaus Bosselmann mir geschrieben hat. Dort heißt es etwa:
Lieber Dirk Fleck,
wir kennen uns mittelbar durch unser gemeinsames Anliegen – als Stimme gegen den Zusammenbruch der Zivilisation – und über gemeinsame Verbündete wie z.B. Franz Alt, Rudolf Bahro, K.-M. Meyer-Abich und noch viele andere. Ich schreibe Ihnen, weil ich Ihnen danken möchte für Ihre Beharrlichkeit – auch den gelegentlichen Zynismus, den ich menschlich sympathisch finde – und für Ihre Präsenz etwa in KenFM oder Rubikon.
Hier in Neuseeland habe ich ein Stück von dem erfahren, was tatsächlich möglich ist. Wir haben das fortschrittlichste Umweltrecht der Welt und eine Premierministerin, Jacinda Adern, die sich wirklich für Leute wie Sie und mich interessiert. Gerade vor ein paar Tagen hat sie in meinem Kurs „Global Environmental Law“ gesprochen, auch als acknowledgement dafür, das ich mich für die Rechte der Natur eingesetzt habe (Whanganui River, Uruwera Park, Mount Taranaki). Damit ist NZ das erste Land, das der Natur rechtliche Bedeutung einräumt. Nicht ausreichend, aber mutmachend.
In enger geistiger Verbundenheit,
Klaus Bosselmann
Im Herbst kommt Professor Bosselmann zu Besuch nach Deutschland. Eric Bihl vom Equilibrismus e.V. und ich freuen uns, ihn treffen zu können und ausführlicher miteinander zu diskutieren.
Ein Beitrag von Dirk C. Fleck
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.
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