„Die einzige Gefahr, bin ich selber“
Eine der wichtigsten Fragen, die sich der Equilibrismus immer wieder stellt:
Ist der moderne Mensch noch fähig, in Einklang mit der Natur zu leben?
Der Schweizer Kim Pasche experimentiert, wie man in der Wildnis nicht überleben, sondern mit ihr leben kann. Ruhig und fast schon poetisch versucht er mögliche Ansätze zu geben für ein besseres Verständnis der Natur.
Leben in der Wildnis. Im Nordwesten Kanadas. Der Schweizer Kim Pasche verlässt immer wieder die moderne Welt, „um Distanz zu erleben“. Liegt das wahre Glück des Menschen in der Natur?
„Ich nehme nur mit, was ich für 5, 6 Tage Fußmarsch brauche. Also ein paar Grundnahrungsmittel, Kleidung. Den weiteren Rest sammle ich in der Natur“, sagt Kim Pasche. Es sei großartig zu wissen, nur durch die eigenen physischen Grenzen gebunden bin. In Kürze wird er Hunger haben, ihm wird Kalt werden: „Aber ich bin niemanden Rechenschaft schuldig. Ich bin in der Natur, kann trödeln und stundenlang den Sonnenuntergang betrachten. Das ist etwas Wunderbares…“
Überwältigende Landschaften: hohe Berge, weitläufige Seen… Wenn der gebürtige Schweizer Kim Pasche sich wieder in die Wildnis Kanadas aufmacht, dann ist das keine Flucht aus der Zivilisation, wie er betont. Hier kann er die Zivilisation und moderne Welt aus möglichst großer Distanz beobachten. Hier denkt er über wichtige Fragen nach: ist unsere Kultur von Dauer? Und: macht die Art und Weise, wie wir leben, einen Sinn? Er versucht jedenfalls mit und in der Natur zu leben. Die überwältigende Landschaft im äußersten Nordwesten Kanadas gibt ihm entsprechenden Freiraum: hohe Berge, viele Wälder, weitläufige Seen und Flüsse… Ein Gebiet, so groß wie Spanien. Menschenleer. Man verliert sich darin.
Er jagt mit Pfeil & Bogen, ernährt sich von Beeren und Kräutern… Pasche ist kein Eigenbrötler. Er hat eine langjährige Partnerin in der Schweiz, ist bald Familienvater und gibt seine gelernten Fähigkeiten als „Jäger und Sammler“ in regelmäßigen Wildnis-Praktika an Interessierte in ganz Europa weiter. Als „Experimental-Archäologe“ arbeitet er überdies für Westschweizer Museen.
Das besondere an seinem Lebenskonzept: er kann sich nicht nur gut in der Natur bewegen, sondern auch aus den verschiedensten Materialen selber Werkzeuge machen. Er kann Feuersteine zuhauen, Werkzeuge und Waffen herstellen. Er jagt mit Pfeil und Bogen, kann Fische mit einem Holzkäfig fangen, ernährt sich von Beeren und Kräutern und trägt Leder- und Fellkleidung aus selbst erlegten Tieren. Und er verfügt über die Basis des Überlebens: kann aus Hölzern Feuer entfachen.
Urgeschichtliche Dinge sind nicht kompliziert, unbequem und langwierig, ist Kim Pasche überzeugt. Das sei die Sichtweise aus der Moderne. „Eine Steinaxt, ein Holzbogen – wenn man diese Werkzeuge gut zu gebrauchen weiß, sind sie genauso effizient, wie moderne Geräte“. Er sammelt gerne Dinge zusammen, die notwendig sind für Nahrung, Jagd und Arbeit. „Das entspricht am ehesten den Ursprungsgedanken der Menschen, zwischen Ernten und Sammeln. Und stehe im Kontrast zum heutigen System zwischen Anhäufen und Kontrollieren. Die Jagd, sagt Pasche in einem Interview der Dokumentation „Abenteuer Yukon“, sei die letzte Grenze mit der nicht-menschlichen Natur. Man kommt dem Tier sehr nahe, schaut sich gegenseitig in die Augen. „Darin lebe ich der stärksten Gefühle meiner Existenz aus.“
„Es war mir immer schon wichtig, draußen zu sein“. Schon als Kind, aufgewachsen im Schweizerischen Ort Moudon und noch heute seine Rückzugsheimat, habe er überhaupt nicht verstanden, warum Erwachsene Kinder jeden Tag acht Stunden in ein (Schul-)Haus sperren. Weg von jeder Realität, in einem Alter, wo besonders viel Bewegung notwendig ist. „Kaum ergab sich eine Möglichkeit, haute ich ab. Ich ging in den Wald und baute mir Hütten. Es war mir immer schon wichtig, draußen zu sein“. Und: er wollte verstehen, woher die Gegenstände kommen. Die Natur war für ihn wie eine Paarbeziehung, und er hatte den Eindruck zwischen Wiesen und Wäldern natürlicher zu sein – aufatmen und leben zu können.
Suche nach dem magischen Ort. Die meiste Zeit des Jahres, rund 8 bis 10 Monate, lebt Kim Pascha in Kanada. Gemeldet ist er dort im kleinen Städtchen „White Horse“ in Yukon, gleich an der Grenze Alaskas. „Man kann ja nicht angeben, hinter einer Fichte, rechts, 50 km vom Ort entfernt zu wohnen“, schmunzelt er. Für ihn ist es der letzte Ort der Zivilisation. Über Jahre hinweg war er monatelang alleine unterwegs. Die größte Distanz von der Zivilisation entfernt betrug rund 700 km. „Es ist die besessene Suche nach dem magischen Ort“, sagt Pasche. Die für ihn wichtigsten Handfertigkeiten, sind jene, die einen direkten Bezug zur Natur haben. Und gibt sich bescheiden:„Ich habe großes Glück von der Natur leben zu können“.
„Die einzige Gefahr, bin ich selber“. Klar sei: sich in der Natur zu bewegen, sei ein gewisses Risiko. Vor allem wegen der Unvorhersehbarkeit: ein verstauchter Knöchel, eine Krankheit, ein Angriff eines Bären, kann lebensgefährlich sein.
„Mir wird oft gesagt, es sei leichtsinnig, ohne Kommunikationsmittel in die Natur zu ziehen. Das finde ich nicht“, sagt Pasche: „aus meiner Sicht, ist eine Zivilisation, die alles versichern will, leichtsinnig. Die einzige Gefahr, bin ich selber: mein Nichtwissen, wenn ich glaube, zu wissen. Oder von etwas überzeugt zu sein, dass es nicht gibt.“
„Ich bin kein Überlebenskünstler“, betont er. „Wenn man überleben muss, hat man vorher etwas falsch gemacht“. Eine Lebensart, die auf Konfrontation mit der Natur geht, davor verwahrt er sich: „Ich versuche das Glück in einer wilden Ecke zu finden. Ein Überlebenskünstler versucht dem Glück zu entkommen. Ich möchte so lange wie möglich in der Natur bleiben.“ Natur sei einerseits gefährlich, andererseits ernährt sie uns. Für ihn ist die Suche nach der Harmonie dazwischen sein Lebensweg.
Der „wahre Wert“ Mensch. „Ich kann mit all den Techniken und Fertigkeiten ein Jahr gut in der Natur leben – und hätte dennoch nichts bewiesen“, ist sich Kim Pasche sicher. Denn: „Ein Mensch allein in der Natur, lebt nicht – er überlebt lediglich“. Das ist wahrscheinlich die revolutionäre Erkenntnis seines Lebenskonzepts: Er habe entdeckt, was den wahren Wert Mensch ausmacht: es ist die Organisation, die Kultur. Und es ist der Reichtum, die Fülle und das soziale Teilen miteinander. Alleine aus dieser Erkenntnis heraus, haben sich all die Monate in der Wildnis ausgezahlt…
Text: Helmut Wolf
https://www.lebenskonzepte.org/artikelme/die-einzige-gefahr-bin-ich-selber
https://docplayer.org/70290292-Zu-hause-in-der-wildnis.html
Dokumentarfilm „Abenteuer Yukon“ 3sat: