Heute schon aufgewacht?
„Als sie heute morgen aufgewacht sind, also der Beweis ist ja, sie sitzen hier, das ist ihnen ja allen passiert. Erinnern sie sich alle an diesen Moment? Da hatten sie diese eine Erkenntnis: aha, ich glaube ich bin wach. Sind sie da aufgestanden? Nein. Warum tun wir das nicht? Weil wir die Lage als sehr angenehm empfinden. Wir sind Profis darin, morgens lange zu liegen, die Bettdecke noch mal rüber zu ziehen. Wir haben keine besonders großen Bedürfnisse an diesem Morgen. Der Hunger ist noch nicht allzu groß. Die Toilette ist auch noch nicht ganz so dringend. Es ist warm. Es ist gemütlich. Sie beherrschen diese Situation. Und deshalb tun wir nichts. Wir decken noch einmal die Decke herüber, bleiben noch einmal zehn Minuten liegen, bis dann der Wecker das dritte Mal klingelt und es nicht mehr abwendbar ist, dass eine andere Erkenntnis durchdringt. Wenn ich jetzt nicht aufstehe, habe ich Folgeerscheinungen im Tagesablauf, die mehr nachträglich sind für mich, als wenn ich hier länger liegen bleibe. In diesem Moment dieser Erkenntnis fangen wir an zu handeln und sie bewegen den Fuß aus der Bettdecke heraus und wir agieren.
Was bedeutet das übertragen auf das Klimaproblem? Der Wecker hat zwei Mal geklingelt. Wir haben es gut ignoriert. Wir sind Profis darin es erst mal wegzudrücken. Wir sind auch Profis darin uns einzureden, dass die Lage noch gar nicht so schlimm ist. Beim zweiten Mal Klingeln kann man es vielleicht noch ein bisschen verdrängen. Wir holen uns vielleicht noch andere Fakten dazu, die uns ein Gefühl davon geben, dass die Realität vielleicht gar nicht so schlimm ist da draußen. Wir haben die Gardinen wieder ein Stück zugezogen, damit es auch draußen wieder dunkel wird. Dann hat man das Gefühl: es ist ja auch noch ein bisschen Nacht. Da draußen ist aber Tag. Und dann kommt irgendwie die Erkenntnis: ich glaube, jetzt muss ich die Gardine aufmachen. Und Einige werden dann sehr sehr geblendet sein, weil die Realität schon viel weiter ist, als viele es vielleicht gedacht haben. Und an diesem Punkt befinden wir uns.
2023 ist eine Zäsur. Als sie am ersten Januar morgens um zwei, also wenn sie sich noch daran erinnern, auf ihr Thermometer geguckt haben und sie haben nur ein Thermometer gesehen, sonst ist die Messung nicht hilfreich um die Uhrzeit, dann haben sie Temperaturen gesehen in Deutschland von 14 bis 17 Grad. Das war eine milde Sommernacht am ersten Januar. Und damit begann ein Jahr, das wirklich in die Klimageschichte auf diesem Planeten eingehen wird. Es ist das Jahr des Endes der Illusion. Es ist das dritte Klingeln.“
Dies ist ein Teil der Rede von Frank Böttcher auf der Eröffnungs-Pressekonferenz des Extremwetter-Kongresses in Hamburg.
Frank Böttcher, Gründungsmitglied des Verbandes Deutscher Wetterdienstleister, hat diese Veranstaltung bereits 2006 ins Leben gerufen. Er war und ist seit vielen Jahren als Wettermoderator und als Wetterexperte für zahlreiche Fernseh- und Radiosender aktiv.
Seit 2019 betreibt er unter dem Motto „Mehr Wissen für die Zukunft“ die Internetseite böttcher.science mit Daten, Fakten, Podcasts und einem Blog.
Seit 2023 ist er Vorsitzender der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft.
Mit freundlicher Erlaubnis von Frank Böttcher.