Grundideen des Equilibrismus
Es gibt viele Organisationen, die sich für die Erhaltung der Umwelt einsetzen. Die einen schützen Tiere, die anderen Pflanzen, wieder andere kämpfen allgemein gegen die Zerstörung der Umwelt durch wirtschaftliche Interessen.
Es gibt auch etliche Vereinigungen, die sich für die Einhaltung der Menschenrechte stark machen. Einige Organisationen prangern das ungerechte kapitalistische Wirtschaftssystem an, das zwar freier als das kommunistische, aber auch nicht gerechter ist, und fordern eine Geldordnung, die nicht einer blinden Gesetzmäßigkeit folgend Reichtum durch Armut erzeugt und den Staat vor aussichtslose Ausgleichsaufgaben stellt.
Viele Vereine beschränken ihre Aktivitäten auf den nationalen Rahmen, während andere global agieren.Das Problem all dieser Initiativen: sie befassen sich jeweils mit Teilbereichen, die aber in ihrer Kausalität mit den anderen Bereichen untrennbar verbunden sind. Soll die Arbeit dieser Organisationen nachhaltigen Erfolg haben, so müssen sie zumindest miteinander kooperieren.
Der Equilibrismus bietet ein Konzept, dass sich übergreifend mit den wichtigsten Problembereichen beschäftigt und eine globale Umsetzung anstrebt. Diese Bereiche lassen sich in vier Eckpfeilern grob darstellen, die in gegenseitiger abhängiger Wechselbeziehung stehen:
- Ökoalternativen sowie Effizienz- und Strukturneugestaltung
- Natürliches Kreislaufwirtschaftssystem
- Nachhaltige Geld- und Bodenordnung
- Weltbürgertum
Um zu zeigen, wie diese Bereiche voneinander abhängen, liegt der Vergleich mit den Funktionen des menschlichen Körpers nahe, der selbst ein perfektes System integrierter Systeme ist:
- entspricht den Organen mit ihren vielfältigen, aufeinander abgestimmten Aufgaben
- ist das Skelett, das die Struktur vorgibt
- hierfür steht das Blut, das alle Bereiche versorgt
- ist die zusammenhaltende, schützende Haut
Und so, wie alle Teile des Körpers gleich wichtig sind und nicht einer auf Kosten der anderen ungebremst wachsen darf, darf weder die ökonomische Betätigung des Menschen Vorrang vor seinen anderen Bedürfnissen erhalten, noch die Inanspruchnahme der natürlichen Ressourcen durch eine Spezies ständige Zuwachsraten aufweisen. Alles, was der Natur entnommen wird, muss ihr auch so schnell wie möglich wieder zurückgeführt werden, um im Kreislauf zu bleiben.
Der Equilibrismus will an fehlerhaften Systemen nicht herumbasteln, sondern sie durch Rückbesinnung auf die jeweiligen Grundfragen völlig erneuern; insofern ist er konsequent, weil er an die Wurzeln geht. Gleichzeitig werden neue Rahmenbedingungen festgelegt. Als Maßstab gilt immer, dass sie sich im Einklang mit der Natur befinden.
Wichtige Grundsätze sind:
- Nicht gegen etwas und jemanden kämpfen, sondern miteinander für ein Ziel eintreten.
- Nicht nur reagieren auf entstandene Probleme, sondern agieren, indem neue Wege aufgezeigt werden.
- Das Positive soll belohnt, destruktive Energien in kreative Bahnen gelenkt werden.
- Wettbewerb sollte miteinander stattfinden, um Verbesserungen zu erreichen, nicht gegeneinander, um die anderen kaputt zu machen.
- Alle Betätigungen sollen weitgehend im Einklang mit der Natur stehen.
- Vielfalt in allen Bereichen statt Monopolisierung.
- Regionalisierung der Wirtschaft so weit möglich.
- Entscheidungen und Verantwortung folgen dem Subsidiaritätsprinzip: sie liegen in der Hand der Ebene, die von den Entscheidungen betroffen ist.
Der „Nachteil“ des Equilibrismus-Konzeptes: da jeder Bereich für sich gesehen bereits sehr komplex ist, verlangt das Gesamtkonzept eine gehörige Portion an Aufnahmebereitschaft von Seiten der Interessierten. Doch wenn wir uns dazu befähigt und berechtigt sehen, als „Experten“ in einem Spezialbereich in die Natur einzugreifen, mit Folgen für andere Bereiche, dann müssen wir uns auch für die Folgen interessieren. Wir sind der Auffassung: keine Alternative ist überzeugender, als die, die durch ein gelungenes Beispiel belegt werden kann. Deswegen ist unser Ziel, konkrete Projekte zu starten, mit denen die Basis für eine erfolgreiche Verbreitung unseres Konzeptes gefestigt werden kann.
Ob wir die immer noch wachsende Weltbevölkerung, das absehbare Ende der fossilen Energien, die abnehmende Artenvielfalt, die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen oder die sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen nehmen: in keinem Bereich ist eine Projektion der gegenwärtigen Verläufe auch nur bis ans Ende des gerade begonnenen Jahrhunderts möglich, ohne katastrophale Dimensionen zu erreichen.
Wo die Evolution sich in Maßeinheiten von Jahrmillionen und – wenn es schnell ging – Jahrtausenden bewegte, sich immer sehr vorsichtig vorantastend, drücken wir auf’s Gas, bringen Veränderungen im Stundentakt. „Globale Beschleunigungskrise“ nannte der Astrophysiker Peter Kafka dieses Phänomen: wir haben keine Zeit zur Erfolgskontrolle, zum Testen der Auswirkungen eines Eingriffs. Alle Neuentwicklungen müssen möglichst schnell und global eingesetzt werden, um die Investitionen wieder herein zu holen. Treten zu gravierende Folgen auf, wird einfach erneut eingegriffen.
Wir hebeln die Welt aus ihren Angeln, obwohl wir nicht in der Lage sind, sie dann im Gleichgewicht zu halten; so wird sie auf uns niederstürzen und uns begraben. Doch da es viele waren, die an verschiedenen Stellen gehebelt haben, wird niemand sich verantwortlich fühlen, niemand wird zur Rechenschaft gezogen werden – aber alle werden die Folgen tragen. So verfährt der angebliche homo oeconomicus mit seiner Umwelt: erst gibt er viel Geld aus, sie zu zerstören, dann investiert er Unsummen, sie zu retten.
Wenn der Mensch auch nach Ansicht des Equilibrismus nicht unbedingt die Krone der Schöpfung ist: seine momentane Rolle für den Weitergang des Lebens auf dieser Erde ist so entscheidend wie die Arbeit eines Restaurators für ein beschädigtes Kunstwerk. Nimmt er die richtigen Materialien und versteht seine Arbeit als Dienst am Original, wird es gerettet. Meint er hingegen, bessere Ideen als der Autor des Werkes mit selbst entwickelten Mitteln umsetzen zu müssen, wird auch der vorhandene Rest noch zerstört.
Das Werk der Evolution war und ist sehr gut! Wir möchten unser Handeln darauf ausrichten, ihr möglichst wenig in ihr Handwerk zu pfuschen. Innerhalb der gemächlichen Fortentwicklung der Evolution gibt es für den Menschen immer noch genügend Handlungsspielräume für echten „Fortschritt“, in dem auch das Bestehende noch Platz hat.