Der Kampf ums Lithium - Maeva vor Ort in Bolivien
Lithium ist der Rohstoff der Zukunft – das „weiße Gold‘‘ ist insbesondere für die Elektromobilität unentbehrlich. 30 Prozent der weltweiten Vorkommen lagern in Bolivien und zwar im Salzsee Uyuni auf 3 600 Metern Höhe. Der weltweit größte Lithium-Vorrat ist begehrt wie nie.
Als erstes Land hat sich Deutschland den Zugriff gesichert. 2018 einigten sich die Bundesrepublik und Bolivien auf einen Ressourcen schonenden Abbau. Nicht Tesla oder China sondern ACI Systems, ein Mittelständler aus Baden-Württemberg, erhielt den Zuschlag.
Der Bürgermeister von Rio Grande, einem 2.000-Einwohner-Nest am Rand des Salzsees ist zwar ebenfalls für eine Zusammenarbeit mit den Deutschen, fühlt sich aber nicht mitgenommen und fordert nun finanzielle Entschädigungen bei der Lithium-Industrialisierung. „Wir Anwohner müssen an den Profiten beteiligt werden, argumentiert Bürgermeister Pánfilo Huayllas, denn die Auswirkungen der Industrialisierung werden wir hier in unserer Gemeinde spüren“.
Wie aktuell und vorausschauend unsere Maeva Trilogie ist, zeigt sich wieder einmal in Band zwei. In ihm reist unsere Protagonistin an den Salar de Uyuni, um die Einheimischen rund um den Salzsee zu warnen vor der Gier der Industrienationen, bei der sie und der See wohl auf der Strecke bleiben würden.
Hier Auszüge aus der Rede Maevas:
Der große Saal des Rathauses war bis auf den letzten Platz besetzt. Etwa dreihundert Vertreter der Chiquitanos, Guaraní und Moxenos erhoben sich von den Sitzen, als die URP-Vorsitzende eintraf. Ihr andauernder Protest gegen den Lithium-Abbau auf dem Salar de Uyuni hatte in den letzten Monaten international für Aufsehen gesorgt. Unterstützung fanden sie kaum, nicht einmal im eigenen Land. Maeva nahm neben den Gewerkschaftssprechern auf dem Podium Platz. Nachdem die Begrüßungsworte gesprochen waren, erhob sich der Bürgermeister von Uyuni, ein wettergegerbter kleiner Mann mit einer heiseren Stimme. Er erinnerte daran, dass Boliviens Bodenschätze seit den Tagen der spanischen Conquistadores systematisch ausgebeutet worden waren, ohne dass die einheimische Bevölkerung den geringsten Nutzen davon gehabt hatte. Der nachfolgende Redner verwies auf die bolivianische Verfassung, in der die territoriale Selbstbestimmung der indigenen Völker vor neunzehn Jahren festgeschrieben worden war. Der dritte Sprecher zitierte einen anderen Punkt aus der Verfassung. Punkt 10. Dieser sprach den Menschen Boliviens das Recht zu, in einer sauberen Umwelt zu leben. „Der ökologische Aspekt wird in der Debatte bisher ja völlig ausgeklammert!“, empörte er sich. „Unsere Regierung will uns weismachen, dass es sich bei dem Lithium um eine saubere Energiequelle handelt, die auch sauber abzubauen ist. Aber bislang ist völlig unklar, was der massenhafte Abbau anrichten kann. Wir brauchen doch nur nach Argentinien und Chile zu schauen. Dort wird ebenfalls Lithium abgebaut, wenn auch in sehr viel geringeren Mengen, als es bei uns geplant ist. Trotzdem leiden die Menschen in der direkten Umgebung an Atembeschwerden, Augen- und Hautreizungen. Davon erzählt uns natürlich keiner etwas!“
Cording war nicht sonderlich überrascht, dass diese kämpferische, auf den Naturschutz abzielende Rede viel weniger Zustimmung fand als alle vorangegangenen und folgenden Appelle, die darauf abzielten, die indigene Bevölkerung, vor allem die Lamazüchter und Bauern am Rande des Sees, an dem zu erwartenden Milliardengeschäft angemessen zu beteiligen. Die dreihundert im Rathaus von Uyuni versammelten Frauen und Männer vertraten 60 000 Menschen in 300 Gemeinden, die nichts weniger als eine hundertprozentige Kontrolle über das Konsortium verlangten, das die staatliche Bergbaugesellschaft COMIBOL nach Jahren des Zögerns mit dem französischen Unternehmen Bolloré, den japanischen Konzernen Sumitomo und Mitsubishi sowie dem koreanischen Bergbauunternehmen Kores vor einem Monat gegründet hatte.
Mit dieser durch die Verfassung abgesicherten Forderung brachten sie die bolivianische Regierung, die sich bis vor Kurzem noch standhaft geweigert hatte, Exklusivrechte an ausländische Unternehmen zu vergeben, gehörig in Bedrängnis. Cording fand es bemerkenswert, wie lange und entschieden die Regierung in La Paz dem Drängen und Werben multinationaler Konzerne widerstanden hatte. Angebote zur Zusammenarbeit gab es genug. Bedeutende Unternehmen aus Russland, Indien, Deutschland und den USA standen seit Jahren für eine Förderlizenz Schlange. Die moderne Industriegesellschaft lechzte nach dem Stoff. Ihr Überleben hing davon ab. Lithium wurde in der Medizin, in Fusionsreaktoren, in der Luft-und Raumfahrttechnik sowie in der elektronischen Kommunikationsbranche (Computer, Mobiltelefone) benötigt. Die sukzessive Umstellung der weltweiten Autoflotte auf Hybrid- oder Elektroantrieb aber hat die Nachfrage explodieren lassen. Ohne die bolivianischen Reserven war der Bedarf an Lithium-Batterien und Ionenakkus bald nicht mehr zu decken. Das Gejammere der Autokonzerne war für Cording nicht nachzuvollziehen. Es gab Alternativen. Algen- und Zuckerbatterien waren längst serienreif. Geschätzte 7 Millionen Tonnen des begehrten Leichtmetalls glaubte man aus dem Salar de Uyuni gewinnen zu können, das waren 80 Prozent der Weltvorräte. Bolivien könnte sich schlagartig aus der Armut befreien.
Welch eine Versuchung, dachte Cording und welch eine Leistung, ihr so lange widerstanden zu haben. Soviel ihm bekannt war, fuhr die Regierung in La Paz noch immer einen gemäßigten Kurs. Deshalb verstand er die Empörung der Indios auch nicht. „Partner, nicht Herren!“ – so lautete das Regierungsmotto für die Zusammenarbeit mit ausländischen Unternehmen. Der Energieminister, den Maeva morgen in dem Salzhotel auf dem Salar treffen würde, hatte zum Unmut der europäischen und amerikanischen Autoindustrie gerade bekräftigt, dass Bolivien lediglich eine Produktion von 1000 Tonnen pro Monat anstrebt. Damit wäre man auf dem Salar dann die nächsten 150 Jahre beschäftigt. Die Umwelt bliebe einigermaßen intakt und die Lebensqualität der Menschen würde sich langsam aber stetig zum Besseren wenden.
Die Wortbeiträge kamen jetzt vornehmlich aus dem Publikum, wobei die Redner nichts Neues beizutragen hatten, sie ergriffen lediglich Partei. Es war klar, dass es zwei Lager gab. Auf der einen Seite das Gros derer, die sich nicht abkoppeln lassen wollten von dem Geschäft, egal wie es betrieben wurde. Auf der anderen Seite das Häufchen derer, die das Wohlstandselend und damit die kulturelle Entwurzelung der indigenen Bevölkerung kommen sahen. Sie wurden nicht freundlich angehört.
Cording war froh, als das nutzlose Palaver ein Ende fand. Maeva hatte sich zu Wort gemeldet und plötzlich summte keine Biene mehr im Stock.
„Eigentlich“, begann sie, „hatte ich mir euer Problem anders vorgestellt. Ich bin nicht gekommen“, fuhr Maeva fort, „um euch in dem zu bestärken, was die Menschheit an den Rand ihrer Existenz gebracht hat: die Gier nach Geld. Aber ich kann euch versprechen, dass ich für eure Rechte kämpfen werde. Ihr sollt beteiligt werden, und zwar so, wie es eure Verfassung vorschreibt. Es ist eine gute Verfassung und eure Regierung ist eine gute Regierung. Sie hat es bisher verstanden, euer Land dem Zugriff multinationaler Konzerne zu entziehen. Damit hat sie gezeigt, dass sie die Zeichen der Zeit erkannt hat. Diese Politik hat meine volle Anerkennung. Und wenn eben in dem einen oder anderen Beitrag Bedenken gegen das Konsortium laut geworden sind, das unter Führung der staatlichen Bergbaugesellschaft COMIBOL gegründet wurde, so solltet ihr daran denken, dass euer Lithium-Schatz auf ewig im Salar de Uyuni schlummern würde, wenn es nicht gelungen wäre, sich den Beistand des Auslandes zu sichern. Bolivien hat keine Erfahrung mit der Herstellung von Lithium, es braucht die Technologie aus dem Ausland, sonst könnte das Lithium weder gefördert noch im eigenen Lande weiter verarbeitet werden. Der französische Mischkonzern Bolloré ist Teil des Konsortiums geworden. Er verfügt über das nötige Know-how und wurde mit Bedacht ausgewählt. Bolloré hat eure Regierung jahrelang und kostenlos beraten. Zum Einstieg hat Bolloré nun eine Milliarde US-Dollar in das Lithium-Projekt investiert. Die gleiche Summe wurde von den Japanern und Koreanern zur Verfügung gestellt. Das ist die doppelte Summe dessen, was Bolivien zum Aufbau einer eigenen Lithium-Industrie benötigt. Euer Land verfügt also jetzt über das notwendige Startkapital, um einen gemäßigten Abbau in Angriff zu nehmen und die Menschen dieser Region angemessen zu beteiligen.“
Cording war verblüfft von Maevas Ausführungen, das klang ja, als hätte die bolivianische Regierungssprecherin das Wort ergriffen. „Wie ihr wisst, treffe ich morgen im Hostel de Sal mit Energieminister Ernesto Mastretta zusammen. Außerdem wird der Leiter der Abteilung Grundmetalle von Mitsubishi zugegen sein. Ich werde die Herren mit Nachdruck daran erinnern, dass laut bolivianischer Verfassung ein nicht unbeträchtlicher Teil des zur Verfügung stehenden Startkapitals unter den Gemeinden am Rande des Salars aufzuteilen ist. Die entsprechende Bereitschaft wurde mir bereits signalisiert.“
Maevas letzte Worte wirkten erlösend auf die Indios, als sei ihnen soeben der Schorf des Zweifels von der Seele gekratzt worden.
„Ihr werdet demnächst genügend Mittel zur Verfügung haben, um die Infrastruktur eurer Gemeinden zu verbessern. Schulen, Krankenhäuser, Straßen, Kraftwerke, auch Telekommunikation – das alles wird schon sehr bald zu finanzieren sein. Seid dankbar dafür und nutzt die Chance. Auf keinen Fall dürft ihr den Fehler begehen, auf ausgetretenen Pfaden in die Zukunft zu stürmen. Denkt nachhaltig, vergesst Beton und Asphalt, baut auf nachwachsende Rohstoffe, setzt auf Wind- und Sonnenenergie, verzichtet auf Pflanzenschutzmittel und genmanipuliertes Saatgut, das man euch mit Sicherheit anzudrehen versucht. Verzichtet auch auf die vielen überflüssigen Produkte der Pharmaindustrie und vertraut auf die Segnungen, welche Mutter Erde seit jeher bereithält. Vor allem lasst euch nicht gegeneinander ausspielen. Behandelt die Natur mit Respekt, dann wird sie euch mit innerem und äußerem Reichtum beschenken. Dann werdet ihr einsehen, dass man dem Salar de Uyuni nur solche Wunden zufügen darf, die er auch verkraften kann. Die Welt schaut auf euch, gebt ihr ein gutes Beispiel. Ich danke euch, oder wie wir Tahitianer sagen: Mauruuru roa …!“
Einige Sekunden blieb es gespenstisch still im Rathaus von Uyuni, dann hatten die Menschen verstanden und begannen zu klatschen.
Bolivien: Der Kampf ums weiße Gold – Weltspiegel vom 18. 10. 2020