Statistik - die geheimnisvolle Macht
Wem ist das noch nicht passiert? Man liest eine Statistik und denkt sich: das kann doch nicht stimmen. Meine Erfahrung und/oder der gesunde Menschenverstand sagen einem etwas ganz anderes. Was ist dran am Spruch:
Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.
Hinter dieser Aussage steckt ein tiefes Misstrauen gegenüber Zahlen, deren Herkunft für den Einzelnen schwer oder nicht nachvollziehbar ist oder deren Konsequenz unangenehm bzw. unerwünscht ist. Wenn man sich einmal genauer mit einzelnen Statistiken und deren Herkunft befasst, dann ist das Wort ‚gefälscht‘ nicht typisch für den Umgang mit der Verwertung gesammelter Daten. Die exakten Zahlen einer Statistik sind in der Regel weit weniger entscheidend als die Einordnung einer realen oder mutmaßlichen Tendenz.
Entscheidender ist
Wie lautete die Fragestellung?
Durch die Wortwahl und die vorgegebenen Antwortmöglichkeiten können Befragte, deren Meinung nicht gefestigt ist, leicht auf eine Seite gezogen werden. Ein Beispiel: Wie wird das Ergebnis bei folgender Fragestellung aussehen:
Sind sie für den Bau einer Windkraftanlage in ihrem Dorf oder eher dagegen?
Sind sie gegen den Bau einer Windkraftanlage in ihrem Dorf oder eher dafür?
Unentschlossene Personen werden durch die fehlende Antwortmöglichkeit ’neutral‘ oder ‚keine Meinung‘ die harte Aussage vermeiden und durch das Wort ‚eher‘ gelenkt. Je nach Ziel des Fragestellers sind ein paar Prozentpunkte für die Wunschantwort drin.
Wie werden die Ergebnisse interpretiert bzw. zusammengefasst?
Selbst wenn eine neutrale Antwort möglich war, kann durch die Darstellung der Ergebnisse in ähnlicher Art manipuliert werden. Die Aussage 55 % der Befragten waren der Windkraftanlage gegenüber neutral bis negativ eingestellt klingt ziemlich negativ. Diese Aussage ist auch bei folgendem Umfrageergebnis richtig: 45 % positiv, 40 % neutral, 15 % negativ.
Passen die Grundlage der Datenerfassung und die Interpretation der Ergebnisse überhaupt zusammen?
Hier kann man von den Profis der Manipulation lernen: der Deutschen Bahn. Angeblich waren im September 2021 92,6 % der Züge pünktlich. Pünktlich heißt, die Verspätung belief sich auf unter sechs Minuten. Das bedeutet aber nicht, dass der Fahrgast pünktlich war. Wenn man, wie seit einigen Jahren üblich, Anschlusszüge kaum mehr warten lässt, dann ist dieser Zug pünktlich, aber der Fahrgast kommt (meist eine Stunde) später am Ziel an. Dieser Effekt lässt sich noch verstärken, wenn längere Strecken in kürzere Teilabschnitte geteilt werden. Aus einem nicht verspätetem Zug werden dann zwei oder aus 100 % verspäteten Zügen dieser Verbindung werden damit 50 %. Es existieren z.B. im Gegensatz zu früheren Jahren heute keine Direktverbindungen mehr von Leipzig, Chemnitz oder Dresden nach Berlin im Regionalexpress.
Kann der Laie mit den Zahlen etwas anfangen?
Angenommen: In einer Pandemie kann der Reproduktionsfaktor jeweils bei unverändert 0,95 oder 1,05 liegen. Die absoluten Zahlen liegen nah beieinander. Die Tendenz macht den Unterschied. Bei 0,95 läuft die Pandemie langsam aus. Bei 1,05 enden wir letztendlich in einer kompletten Durchseuchung.
In der Klimakrise ist oft vom 1,5 Grad Ziel oder von Folgen bei einer Steigerung der Temperatur um durchschnittlich zwei Grad die Rede. Niemand kann mit diesen beiden Zahlen wirklich etwas anfangen oder gar erklären, wie sie sich im eigenen Umfeld bemerkbar machen. Entscheidend ist hier der sogenannte Kipp-Punkt, bei dem die Entwicklung unumkehrbar ist und ein Dominoeffekt der verschiedenen Klimafolgen eintritt. Vielleicht ist dieser schon längst erreicht. Wer kann das ausschließen? Viele mutmaßlich klimabedingte Katastrophen des letzten Jahres legen den Verdacht nahe.
Die Natur ist kein Sportplatz, wo Zahlen Ergebnisse zu 100 % definieren.
Wann nähern wir uns der Fälschung einer Statistik?
In den siebziger Jahren startete die damalige Bundesregierung unter dem Eindruck der Ölkrise eine massive Werbekampagne für die Nutzung der Kernenergie als Alternative. Das Risiko eines ernsthaften Unfalls wurde heruntergespielt. Es wurden Zeiträume von vielen tausend Jahren pro Unfall angegeben. Wie auch immer diese Zahlen entstanden: die Realität sah bekanntlich anders aus. 1979 kam es im Reaktor Three Mile Island bei Harrisburg zur Kernschmelze. 1986 explodierte Tschernobyl und 2011 waren gleich vier Blöcke der Anlage in Fukushima einem Erdbeben und dem anschließenden Tsunami zum Opfer gefallen. Wie schnell doch Jahrtausende vergehen.
Zahlen sind eine Hilfsgröße zur Einordnung von Tendenzen, vor allem, wenn ein Ereignis noch nie seit der Existenz des Menschen stattgefunden hat. Sie zu 100 % für bare Münze zu nehmen wäre aber fahrlässig und hieße fremde Interessen, zukünftige Erkenntnisse und Entwicklungen zu ignorieren oder letztlich den Verstand auszuschalten.
Rudolf Prott