„Wir sind nicht mehr Teil unserer Natur“
Der Fotograf Sebastião Salgado dokumentiert seit Jahrzehnten die Leben der Menschen in der Dritten Welt. Ein Gespräch über seine Arbeit in Brasilien, Armut in Afrika, die Ausbeutung der Natur und die Aufforstung des Regenwalds.
Von Julia Stelzner
Herr Salgado, wie körperlich muss man sich Ihre Arbeit vorstellen? Die Arbeit in der Goldmine wirkt kräftezehrend.
Ich habe rund einen Monat mit den Arbeitern in Brasilien verbracht, habe alle Wege mit ihnen zurückgelegt. Ich bin jeden Tag den Krater hoch und runter geklettert, und wir sprechen hier von 200 Metern Tiefe. Damals war ich noch fit, ich war in meinen Dreißigern. Ich habe mit den Arbeitern unter einer Plane gelebt, habe gegessen, was sie gegessen haben. Wenn man solche Jobs macht, muss man ein Teil von den Menschen werden und alles machen, was sie machen.
Sie haben die Aufnahmen aus Brasilien in Schwarz-Weiß veröffentlicht. Dabei waren die achtziger Jahre von Farbe geprägt.
Ich habe die Bilder aus der Mine natürlich auch in Farbe aufgenommen. Denn Mitte der Achtziger wollten alle Magazine Farbfotos, und ich musste ja meine Miete und die Schule meiner Kinder zahlen. Die Schwarz-Weiß-Fotografie habe ich nur für mich privat gemacht. Aber dann hat das „New York Times Magazine“ sie auf über zehn Seiten veröffentlicht. Das war schon etwas Besonderes. So kam die Schwarz-Weiß-Fotografie zurück ins Gespräch, und ich wusste, dass es möglich ist. Seitdem habe ich nur noch Schwarz-Weiß-Fotos veröffentlicht.
Solche Fotos wirken meist ruhiger, distanzierter, eleganter und vielleicht auch weniger nahbar.
Nichts in der Wirklichkeit ist Schwarz-Weiß oder Grau. Es ist eine Abstraktion. Einzelne Dinge werden in Farbe präsenter. Das lenkt den Blick. In Schwarz-Weiß ist alles gleich gewichtet. Diese Reduktion ist für das Betrachten wichtig.
Wie interagieren Sie mit den Menschen, die Sie fotografieren?
Meine Arbeit braucht sehr viel Zeit. Ich bin lange mit den Menschen unterwegs, die ich fotografiere. Ich integriere mich komplett in deren Leben. Und irgendjemand spricht immer ein bisschen Französisch, Englisch oder Portugiesisch. Ich kann mich also verständigen.
Wenn die menschliche Tragödie so einprägsam ist wie auf Ihren Aufnahmen aus der Sahel-Wüste oder aus Ruanda – wie sehr beschäftigt es Sie, wenn Sie wissen, dass Sie in Wirklichkeit ein gutes Leben haben?
Ich bin nie alleine in diesen Flüchtlingslagern gewesen, sondern immer mit Nichtregierungsorganisationen. Die Organisationen bringen den Menschen Essen, und das wird auch mein Essen. Ich komme selbst aus einem unterentwickelten Land. Diese Menschen haben Hunger. Aber sie haben auch Würde. Wir sind alle nur Menschen. Da gibt es keine Unterschiede.
Aber in Wirklichkeit gibt es eben doch Unterschiede.
Ja, die Menschen in Afrika sterben an Hunger. Dafür gibt es viele Gründe. Die Atmosphäre erwärmt sich. Die Sahara wird immer trockener, es regnet nicht mehr, Ackerbau ist dann kaum noch möglich. Die westlichen Länder tragen ihre Konflikte in Afrika aus. Dazu kommen noch Bürgerkriege und Völkermord. Menschen verlieren ihre Häuser und ihre Arbeit und suchen infolgedessen anderswo nach Arbeit. Die Bewohner dieser Länder sind entwurzelt. Sie suchen nach einem besseren Leben.
Sie haben vor 20 Jahren einen Bildband über Migranten herausgegeben. Was denken Sie, wenn Sie heute die Flüchtlingsbewegungen sehen?
Es ist schwer zu ertragen. Man stellt sich die Frage, warum sie alles verlieren. Warum sie als Bauern für ihre Produkte nicht richtig bezahlt werden, weil alles zu uns exportiert wird und wir fast nichts dafür zahlen. Ein Bauer in Afrika arbeitet von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zwölf Stunden ununterbrochen, und er hat noch nicht einmal ein Haus. Unsere westliche Gesellschaft ist daran mitschuldig. Wir provozieren das. Weil wir davon profitieren.
Sie sagen, dass der Planet Erde die Menschheit überleben wird. Was macht Sie da so sicher?
Wir Menschen leben gerne in großen Städten wie Rio, Paris oder Berlin. Wir isolieren uns von unserem Planeten. Wir sind nicht mehr Teil unserer Natur, wir leben nicht mit ihr in Einklang, wir zerstören sie. Wir fahren Auto, unsere Wälder bestehen aus Monokulturen. Wenn unsere Spezies untergeht, weil die Ressourcen verbraucht sind, wird sich der Planet davon erholen. Da bin ich mir sicher. Die Evolution ist eine höhere Intelligenz.
Wie nachhaltig leben Sie selbst?
Nicht so sehr. Ich nehme oft den Zug, aber ich fahre auch Auto. Ein Hybridauto zwar, aber auch darin steckt ein Motor aus Metall. Wir müssen allesamt umdenken. In Europa hat man langsam mit Nachhaltigkeitsbemühungen angefangen.
Sie haben in Brasilien das gerodete Farmland Ihres Vaters mit mehr als zwei Millionen Bäumen bepflanzt. Was haben Sie bei dieser Aufforstungsaktion gelernt?
Bäume attackieren sich nicht. Sie leben in Gemeinschaft. In der Natur ist alles rational. Was wir da mit dem Instituto Terra machen, ist natürlich nicht eins zu eins kopierbar, man kann das nicht überall so machen. Aber wir haben an dem Beispiel gezeigt, dass Aufforstung möglich ist. Wir haben viel gearbeitet. Und die Auswirkungen sind wirklich eindrucksvoll, wenn man später einmal sieht, wie aus einem ein Zentimeter großen Setzling ein 20 Meter hoher Baum in den Himmel gewachsen ist.
Quelle: F.A.Z. Magazin
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