Ideen des Equilibrismus

Aus der Erkenntnis heraus, dass wir auf den heute beschrittenen Wegen in immer verheerendere Katastrophen sowohl ökonomischer als auch sozialer, vor allem aber ökologischer Art geraten, wollen wir der Politik, die ihre Entscheidungen am Gängelband der Wirtschaft trifft und dies als alternativlos propagiert, zeigen, wie sich das anbahnende Desaster verhindern lässt. In erster Linie geht es uns aber darum, den Bürgern eine andere, eine bessere Welt begreifbar zu machen. Die Menschen sehen zwar, dass das derzeitige System nicht funktioniert, trotzdem stehen sie jedem neuen Konzept äußerst skeptisch gegenüber. Veränderungen sind für die meisten nur innerhalb des bestehenden Systems denkbar.

Wir haben es aber nicht mit Fehlern im System zu tun, sondern mit einem fehlerhaften System. Das Herumdoktern an den Symptomen bringt uns nicht weiter, wir müssen eine radikale Kehrtwendung vollziehen und an die Ursachen einer fatalen Fehlentwicklung gehen. Dies aber geht nur, wenn wir uns gedanklich vom bestehenden System lösen. Man muss also das Neue als komplexe Einheit darstellen, um die Zustimmung der Menschen zu bekommen.

Wo die Evolution sich in Maßeinheiten von Jahrmillionen und – wenn es schnell ging – Jahrtausenden bewegte, sich immer sehr vorsichtig vorantastend, drücken wir auf’s Gas, bringen Veränderungen im Stundentakt. „Globale Beschleunigungskrise“ nannte der Astrophysiker Peter Kafka dieses Phänomen: wir haben keine Zeit zur Erfolgskontrolle, zum Testen der Auswirkungen eines Eingriffs. Alle Neuentwicklungen müssen möglichst schnell und global eingesetzt werden, um die Investitionen wieder hereinzuholen.

Wir hebeln die Welt aus ihren Angeln, obwohl wir nicht in der Lage sind, sie dann im Gleichgewicht zu halten; so wird sie auf uns niederstürzen und uns begraben. Doch da es viele waren, die an verschiedenen Stellen gehebelt haben, wird niemand sich verantwortlich fühlen, niemand wird zur Rechenschaft gezogen – aber wir alle werden die Folgen tragen müssen. So verfährt der angebliche homo oeconomicus mit seiner Umwelt: erst gibt er viel Geld aus, sie zu zerstören, dann investiert er Unsummen, sie zu retten.

Die Rolle des Menschen für den Weitergang des Lebens auf dieser Erde ist so entscheidend wie die Arbeit eines Restaurators für ein beschädigtes Kunstwerk. Nimmt er die richtigen Materialien und versteht seine Arbeit als Dienst am Original, wird es gerettet. Meint er hingegen, bessere Ideen als der Autor des Werkes mit selbst entwickelten Mitteln umsetzen zu können, wird auch der vorhandene Rest noch zerstört.

Nach der Zersplitterung der UdSSR und der deutschen Vereinigung galt es als endgültig bewiesen, dass der Kapitalismus das einzig funktionierende, weil erfolgreiche Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sei. Stimmen, die davor warnten, dass der Kommunismus zwar tot sei, der Kapitalismus aber todkrank wäre und somit kein Grund zur Freude bestünde, wurden als unqualifiziert abgetan. Erst seit an den Finanzmärkten das Fieber in solch bedrohliche Höhen stieg, dass mehr und mehr das gesamte Geldsystem und mit ihm die Realwirtschaft zusammenzubrechen drohte, mit dramatischen Folgen für die Demokratie, darf laut über die Kehrseite unserer Wirtschaftsordnung nachgedacht werden.

Die Kritik am Kapitalismus gehört inzwischen zum guten Ton. Allerdings beschränkt sie sich auf die „Auswüchse“ und dementsprechend zielen die Forderungen auf eine „Zähmung des Raubtierkapitalismus“ und auf eine „Rückkehr zur sozialen Marktwirtschaft“. Letztere wird als die gute Form des Kapitalismus dargestellt; ihre Ingredienzien bestehen aus einer Mischung aus staatlichen Geboten und persönlicher moralgeprägter Selbstbeschränkung. Die große Frage aber bleibt: warum wir ein Raubtier domestizieren wollen, dem Unbändigkeit und Expansionsdrang bis zur Selbstzerstörung im Blut liegen? Gibt es wirklich keine Alternative zum Kapitalismus als den Sozialismus/Kommunismus?

Der Equilibrismus e.V. mit Sitz in München wirbt für ein völlig neues Konzept und behauptet, Kapitalismus und Kommunismus hätten mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes, darunter vor allem den Zwang zur rücksichtslosen Ausbeutung der natürlichen und menschlichen Ressourcen.

Das Konzept des Equilibrismus strebt nach einem Ausgleich zwischen Ökologie, Ökonomie, Politik, Sozialem und Kulturellem. In einer Zeit, in der das ausschließlich ökonomische Denken um sich greift und die Wirtschaft auf globaler Ebene omnipotent wird, ist dieses Ziel dringlicher denn je.“ –  Mit diesen Worten unterstützte Sir Peter Ustinov kurz vor seinem Tode die Bestrebungen des Equilibrismus in seinem Geleitwort zum gleichnamigen Buch.

Worin sich der Equilibrismus von allen anderen Konzepten unterscheidet, ist vor allem seine biozentrische Ausrichtung statt der sonst anzutreffenden anthropozentrischen Sicht. Solange sich der Mensch als über der Natur stehend und somit getrennt von ihr empfindet, solange trägt er mit seinen Aktivitäten zur Destabilisierung und zu Ungleichgewichtungen bei. Dies führt dazu, dass die Lebenssituation großer Teile der Menschheit (aber auch aller anderen Lebewesen) prekär und  gefährdet bleibt.

Um die Ideen des Equilibrismus an ein größeres Publikum zu bringen, als es ein Sachbuch vermag, entstand zusammen mit dem bekannten deutschen Journalisten und Science-Fiction-Autor Dirk C. Fleck der Zukunftsroman „Das Tahiti-Projekt“ (Deutscher Science Fiction Preis 2009) und daraus folgernd die Maeva Trilogie. „Das Tahiti-Projekt“ enthält einerseits alle Ingredienzien eines reinrassigen „Öko-Thrillers“, doch zeigt er gleichzeitig, wie ökologische, ökonomische und politische Alternativen zu echtem Fortschritt führen können, wenn sie in einem Gesamtsystem aufeinander abgestimmt sind. Kein „Zurück zur Natur“ im Sinne von Wohlstandsverlust wird propagiert, sondern ein bereichertes, glücklicheres und nachhaltiges Leben. Wie sich ein neues Bewusstsein in einer kollabierenden Welt regt und behauptet, zeigen die beiden nächsten Bücher der Maeva Trilogie.

Bei der Trilogie handelt es sich gar nicht um Science Fiction – die Fiktion besteht nur darin, dass eine Gesellschaft beginnt, zukunftsfähig zu denken und zu handeln, indem sie die gegebenen Möglichkeiten nutzt. Wir sind sicher, dass unsere literarische Hochrechnung verfilmt werden wird, denn die Realität holt sie ja nach und nach ein …

Doch das theoretische Konzept im Sachbuch und seine unterhaltsame Veranschaulichung in den Romanen sind nur Schritte zum eigentlichen Ziel, das der Equilibrismus anstrebt. Getreu dem Motto: Nichts ist überzeugender als ein funktionierendes Praxisbeispiel, soll in einer Weltregion ein Modellversuch auf der Basis des equilibristischen Konzepts initiiert werden.