Herbert Gruhl

Vor genau 30 Jahren empfahl mir ein Kollege dringend einen Artikel aus dem „SPIEGEL“. Es war ein Essay mit dem Titel „Die Menschheit ist am Ende“ von Herbert Gruhl, der mir bis dahin völlig unbekannt war. Nicht nur der aussagekräftige Titel hatte mich gleich neugierig gemacht. Der Inhalt aber war für mich wie ein Blitzschlag und eröffnete einen ganz neuen Blickwinkel auf die Umweltdebatte. Zum ersten Mal begriff ich, dass Umwelt, Politik und Soziales zusammenhängen.

Ich sammelte sofort Informationen zu seiner Person und seinem Werdegang.

1921 geboren hatte Herbert Gruhl 1992 schon eine lange politische Karriere hinter sich.

https://herbert-gruhl.de/sample-page/

Während seiner vielen Jahre als Politiker in verschiedenen Parteien suchte er stets seinen eigenen Weg, den er aber nie richtig gefunden hatte. Mehr noch als Politiker hat Herbert Gruhl sich als Schriftsteller, ökologischer Vordenker und konservativer Mahner vor dem leichtfertigen Umgang mit der Natur einen bedeutenden Rang erworben.

Im SPIEGEL-Artikel wurde gleichzeitig sein neues Buch „Himmelfahrt ins Nichts“ angekündigt. Ich stürzte mich sofort auf die Lektüre, gefolgt von seinem damals bekanntesten Sachbuch „Ein Planet wird geplündert – Die Schreckensbilanz unserer Politik“, das 1975 erschienen war.

Nach der Lektüre musste ich unbedingt Kontakt mit diesem Mann aufnehmen, um ihm meinen Ansatz des Equilibrismus vorzustellen und zu diskutieren. Ich wollte von ihm vor allem erfahren, ob die Richtung, die ich mit diesem neuen Konzept eingeschlagen hatte, realistisch sei und Sinn machen würde.

Ich erreichte Herbert Gruhl am Telefon und erfuhr, dass er in Marktschellenberg wohnte. Nach mehreren Telefongesprächen lud er mich ein, ihn zu Hause zu besuchen. Was mich an ihm besonders beeindruckte, war die Tatsache, dass er sich viel Zeit nahm für unsere Gespräche, in denen er mich immer wieder ermutigte, mich von meinem eingeschlagenen Weg nicht abbringen zu lassen. Auf meine Frage, ob es zum Erreichen unserer gemeinsamen Ziele unbedingt notwendig wäre, in die Politik zu gehen, antwortete er mit einem klaren Nein. Seine Begründung ist mir noch heute im Gedächtnis. In der Politik, so Gruhl, geht es um alles Mögliche, nur nicht um die Umwelt. Dieses Thema würde in den Parteien allenfalls zu zehn Prozent behandelt werden.

Ich hatte das Vergnügen, diesem außerordentlichen Mann drei Mal persönlich begegnen zu dürfen bei sich zu Hause in Marktschellenberg, wo er mir all seine Publikationen schenkte, die ihn heute als Mahner der ersten Stunde ausweisen, weil er in seinen Werken die Schreckensbilanz unserer Politik so schonungslos darlegte wie kein anderer.

Herbert Gruhl starb am 26. 6. 1993 in Regensburg. Er wurde 72 Jahre alt. Er bleibt für mich der erste Mensch mit Weitsicht, der das Anliegen des Equilibrismus ernst genommen hat. Seine Bedenken, die er mir mitgab, waren, dass es uns nicht an Ideen mangelt, das angerichtete Desaster in den Griff zu kriegen, es mangelt schlicht und einfach am Willen des Menschen, sich zu ändern.

https://www.spiegel.de/politik/die-menschheit-ist-am-ende-a-18e1d077-0002-0001-0000-000009275753

Dieses Essay ist bis heute hochaktuell.

Wenn man nicht wüsste, dass der Artikel „Die Menschheit ist am Ende“ schon von 1992 ist könnte man meinen, er sei erst gestern geschrieben worden. Und leider hat Herbert Gruhl recht behalten. Die Unwilligkeit der Menschheit besteht bis heute, und ein Bewusstseinswandel ist nicht in Sicht. Die UN-Klimakonferenz in Glasgow 2021 (COP 26) hat das wieder unter Beweis gestellt. Nichts, aber auch gar nichts hat sich verbessert! Geändert hat sich vieles seit diesem Essay, bedauerlicherweise immer nur zum Schlechten hin…

Die Menschheit hätte schon vor Jahrzehnten auf der Basis der Erkenntnisse über den Zustand unseres Planeten einen Paradigmenwechsel ergreifen und ihn biozentrisch umsetzen müssen. Stattdessen haben wir uns in immer mehr Abhängigkeiten begeben, immer mehr überbordende Bürokratie und Verschlimmbesserungen zugelassen und zugleich immer mehr seelische und moralische Spaltungen mit unserer Lebensweise erzeugt.

Und da bin ich wieder bei Herbert Gruhl: „Die verbleibende Chance besteht nur in Fristverlängerungen. Aber auch dazu rafft sich kein Volk, keine Regierung, keine Partei auf. Nur unsere hybriden Gehirne, die so viele stolze Leistungen hervorgebracht haben, bilden sich noch hin und wieder ein, das Schicksal aufhalten zu können.“

Es ist zum Verzweifeln! Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Wir danken Andreas Gruhl und der Herbert-Gruhl-Gesellschaft e.V. für die Fotos und freundliche Unterstützung.