Das Dilemma der Priorisierung
Das Klima schützen oder im Winter nicht frieren?
Den CO2-Ausstoß erhöhen oder weiter tausende Jahre strahlenden Atommüll produzieren?
Auf viel Geld verzichten oder im Winter in Qatar Fußball spielen?
Menschenrechte oder Flüssiggas?
Marktwirtschaft oder sichere Infrastruktur?
Oft ist es schwer, Entscheidungen zu treffen. Auch wenn die Zusammenhänge kompliziert und Folgen oft schwer zu durchschauen sind, so gibt es doch einige Leitlinien, die nicht nur hilfreich sondern geradezu notwendig sind.
Kompetenz, Erfahrung, Lernfähigkeit, Unabhängigkeit, Zusammenarbeit, Weitblick, Zeit und Willensstärke.
Drei dieser Eigenschaften sind in Politik und teilweise auch in der Wirtschaft leider unterentwickelt: Lernfähigkeit, Weitblick und Unabhängigkeit.
Zur Lernfähigkeit gehört das rechtzeitige Erkennen von Entwicklungen und Weichen so zu stellen, dass die Auswirkungen von unangenehmen Folgen vernachlässigbar oder zumindest erträglich sind. Der rechtzeitige Ausbau eines diversen Mixes aus verschiedenen regenerativen Energiequellen war für diejenigen, die mit dem Ist-Zustand ohne geistige Anstrengung gut leben konnten sehr bequem. Gerade konservative Kreise tun sich schwer, ausgetretene Pfade zu verlassen. Es ist einfacher die ‚Verspargelung‘ der Landschaft zu beklagen, als sich mit außer Sichtweite verbuddeltem Atommüll oder mit den Eigenheiten von Gaslieferanten auseinanderzusetzen. Beim Energiekonzern EON war man schlau genug, veraltete kohlenstoffbasierte Sparten in der neuen Firma Uniper auszulagern, einem Konzept, dass in der Finanzbranche unter dem Namen ‚Bad Bank‘ bekannt wurde.
Energie und Rohstoffe beziehen wir in beunruhigend hohem Maß aus Ländern und Regionen mit kritischer Einstellung zu Menschenrechten und vernünftigen Umweltstandards. So bleibt ein ungutes Gefühl, wenn russische Gaslieferungen durch solche aus Qatar ersetzt werden sollen. Der Emir reagierte auch dementsprechend reserviert, als ausgerechnet die für ihr Qatar-Bashing bekannten Deutschen wegen Flüssiggaslieferungen vorsprachen.
Das Wirtschaftsimperium Fußball scheint den Sport und die Fans vor lauter Goldgräberstimmung (oder weniger freundlich: Geldgier) zu vergessen. Zurückhaltung wird aus Gründen der Konkurrenzfähigkeit verweigert. Gepaart mit der Profilierungssucht hochrangiger Funktionäre und der Verknüpfung mit nationalen Finanzinteressen kommt es zu irrwitzigen Entscheidungen. Französische Recherchen haben ergeben, dass die Vergabe der Fußball-WM an Qatar maßgeblich mit einem Milliarden-Rüstungsdeal verbunden war. Der Kampfjet Rafale, bis dahin international ein Ladenhüter, konnte nach der WM-Vergabe nach Qatar verkauft werden. Die europäischen Spitzenvereine und ihr Verband ECA waren strikt gegen ein Turnier bei bis zu 50 Grad Celsius, konnten aber mit einer Verlegung in den Winter, trotz organisatorischen Kopfständen, mit viel Geld und Rolex-Uhren ‚überzeugt‘ werden. Auch viele Tote auf den Baustellen und die schlechte Menschenrechtslage ließen die FIFA und besonders ihren Präsidenten kalt. Forderungen nach einer Neuvergabe verhallten ungehört.
Eine besondere Abhängigkeit verbindet uns mit China. Deutsche Autohersteller verkaufen bis zu 40 Prozent ihrer Produktion im Land der Mitte. Kritikfähigkeit ist dann naturgemäß stark unterentwickelt. Die Chinesen sind sich solcher Abhängigkeiten sehr bewusst und üben Druck auf internationale Handelspartner aus. Japan bekam das schon einmal zu spüren, als der Export seltener Erden, bei denen China einen Weltmarktanteil von fast 98 Prozent hält, wegen diplomatischen Streitigkeiten gestoppt wurde. Von den 30 Rohstoffen, die die EU als kritisch einstuft, werden 19 hauptsächlich aus China geliefert. Dazu gehören neben den seltenen Erden, die für alle Geräte auf Halbleiterbasis gebraucht werden, beispielsweise Magnesium, wo China ebenfalls fast ein Monopol hat (93 Prozent) und Wismut (93 Prozent). Auch bei Stahl beträgt der Anteil inzwischen über 50 Prozent. Handys, Solarzellen, Windradflügel, Spielwaren und billige Plastikartikel sind ohne die Lieferungen aus China nicht mehr denkbar. Auf der Exportseite ist neben der Autoindustrie vor allem die Chemiebranche vom Chinageschäft abhängig. BASF hat gerade erst angekündigt 10 Milliarden Euro für den dann weltweit drittgrößten Standort in Zhanjiang in der südchinesischen Provinz Guangdong zu investieren.
Wer will da noch ernsthaft bei einem chinesischen Angriff auf Taiwan mit irgendeiner Art von Boykott reagieren? Wir haben uns ohne Berücksichtigung der Rahmenbedingungen viel zu abhängig gemacht. Ohne lästige Umweltauflagen, mit grenzenlosen Subventionen bis zur Ausschaltung unliebsamer Konkurrenz und unter Missachtung von Arbeitssicherheit und Menschenrechten kamen die Chinesen zu dieser Marktstellung. Der generierte Reichtum führte zu weltweiten Einkaufstouren unter dem Motto: Einkaufen ist das bessere Einmarschieren. In China gibt es ein Prinzip, das wir uns schon vor Jahren als Beispiel hätten nehmen sollen: erlaube nie einem Anderen, was dir nicht selbst zugestanden wird. Aber wie gesagt, Lernfähigkeit ist nicht und Weitblick höchstens für vier Jahre vorhanden. Unser Kanzler genehmigt immer noch gegen alle Widerstände den Verkauf wertvoller Infrastruktur. Eine gerade einmal 11-stündige Audienz beim Alleinherrscher versucht er uns dann noch als großen Erfolg unterzujubeln, nur weil auch China einen Atomkrieg abzulehnen vorgibt.
Eine vernünftige Priorisierung zur Wahrung fundamentaler Interessen ist weit und breit nicht erkennbar. Es bleibt ein Konflikt zwischen Geld einerseits und Moral und Sicherheit andererseits.
Autor: Rudolf Prott