Hanf auf dem Vormarsch
Das kanadische Unternehmen Hempearth (Hemp: zu deutsch Hanf) entwickelte einen Fliegerprototyp, der die Luftfahrt revolutionieren könnte: das fünfsitzige Kleinflugzeug ist aus Hanf gebaut und fliegt mit einem Treibstoff, der aus Hanf gewonnen wird. Hanf ist eine sehr alte und wertvolle Nutzpflanze, deren Bedeutung allmählich wieder entdeckt wird. Die Hanffaser zeichnet sich durch eine sehr hohe Elastizität aus. Sie ist viel weiter dehnbar als jedes Metall. Hanf ist reißfest, belastbar, haltbar und nach entsprechender Aufbereitung 10-mal stärker als Stahl. Hanf ist leicht, leichter als jede Kunststoffmischung. Je leichter das Flugzeug, desto geringer ist der Kraftstoffverbrauch. Hanf ist sehr umweltfreundlich, es braucht relativ wenig Fläche und Wasser zum Wachsen. Es kommt ohne Pestizide aus und zieht zudem Schadstoffe aus dem Boden.
Im TAHITI-PROJEKT, dem ersten Band unserer Maeva-Trilogie, ist genau dies ein Thema. Mit dem „Matai“ wird auf Tahiti ein Fahrzeug gebaut, das sich die Vorteile von Hanf zunutze macht. In dieser Szene besichtigt unser Protagonist Cording die Fabrik:
Maeva stellte Cording den Direktor der Fabrik vor, der es sich nicht nehmen ließ, sie persönlich durchs Werk zu führen. Cording hasste solche Führungen. Bei diesen Gelegenheiten machte sich in ihm eine unbezwingbare Müdigkeit breit, das war bereits als Kind so und daran hatte sich auch im fortgeschrittenen Alter nichts geändert. Er folgte den beiden wie ein Schlafwandler durch die lichten Hallen, nickte reflexartig, schaute verständnisvoll hierhin und dorthin und verstand es wieder einmal hervorragend, sein Schweigen als konzentrierte Aufmerksamkeit zu verkaufen.
Zum Glück ließ sich Maeva gelegentlich vernehmen, ihre Stimme wirkte jedes Mal wie ein Weckruf. Auf diese Weise brachte er jedenfalls das Notwendigste in Erfahrung. Die klassische Fertigungslinie fehlte in dieser Fabrik. Hier wurde nicht am Fließband produziert, die Autos wuchsen unter den Händen eines Viererteams in kleinen Stationen heran. Gerade mal drei Fahrzeuge pro Tag wurden produziert. Der Direktor schien zufrieden mit dem Ausstoß, die Arbeiter sowieso. Ihre Tätigkeit war nicht auf wenige Handgriffe reduziert, sie entwickelten ein kompaktes Produkt, mit dem sie sich identifizieren konnten.
Die Ausführungen über die verwendeten Materialien musste er verschlafen haben, denn als sie nach der Führung auf den Hof traten und der Direktor ihm einen mordsmäßigen Vorschlaghammer in die Hand drückte, mit dem er nach Leibeskräften auf einen nagelneuen ‚Matai’ einschlagen sollte, glaubte er, dass man ihn auf den Arm nehmen wollte.
„Nur zu!“ ermunterte ihn einer der Arbeiter, die das Vehikel gerade fertig gestellt hatten.
Cording stieß dem Wagen vorsichtig in die Seite.
„Trau dich,“ sagte Maeva, „schlag so fest zu wie du kannst.“
Er wiederholte die Aktion, diesmal saß schon mehr Bumms dahinter. In jeder normalen Karosserie wäre jetzt eine stattliche Delle zu sehen gewesen, in dieser nicht. Die Sache fing an, ihm Spaß zu machen. Schließlich setzte er zum alles entscheidenden Schlag an. Wenn sie es denn so haben wollten…
Der Hammer donnerte dem Gefährt mit voller Wucht in die Flanke, schnellte wie vom Katapult geschossen zurück und glitt ihm aus den Händen. Das Auto, das er in Trümmern wähnte, stand weiterhin völlig unbeschädigt auf seinem Platz, als spräche es jedem Vandalismus Hohn. Der Direktor, Maeva und die Arbeiter amüsierten sich köstlich über das Schauspiel.
„Die Verwendung von Natur-Materialien ist beileibe keine neue Idee,“ hörte Cording den Direktor sagen, während er sich seine schmerzenden Finger betrachtete. „In Henry Fords legendärem T-Modell kam bereits 1915 Leim auf Weizenbasis zum Einsatz. 1941 stellte Ford das erste handgefertigte Bio-Fahrzeug her, ein Auto, das buchstäblich auf dem Acker wuchs: gebaut aus Holzfasern, Hanf, Sisal und Weizenstroh, betrieben mit Hanföl. Warum er die Produktion dann einstellte, ist nicht bekannt. Die Macht der Petrochemie und Stahlindustrie war wohl zu groß.“
Cording betastete die Stelle am Auto, auf die er gerade eingeschlagen hatte. Kein Kratzer, nichts. Unterdessen beschwor der Direktor die Segnungen der Hanfpflanze, referierte über nachwachsende Rohstoffe und die Vorteile der Kreislaufwirtschaft*, über geringe Splitterneigung, positives Crashverhalten und dergleichen mehr. Es war die Stimme Maevas, die ihn in die Wirklichkeit zurückholte. Als er sich den Staub von der Hose klopfte, war der Direktor gerade dabei, seinen Journalistenkollegen John Knowles zu begrüßen, der sich als nächster über die Segnungen des ökologischen Fahrzeugbaus informieren wollte.
„Hochinteressant,“ raunte Cording dem Mann von der New York Times zu, bevor er in Begleitung Maevas das Werksgelände verließ. Der Passat blies über die Plantage, und die vier Meter hohen Pflanzen bogen sich unter seinem Atem, als wollten sie jede Sekunde genießen, bevor sie zu Kotflügeln oder Motorhauben verarbeitet wurden.
Im Hotel studierte Cording noch einmal die betreffenden Unterlagen aus der Pressemappe. Der ‚Matai’, las er zu seiner Verblüffung, war ein weltweit führendes technologisches Spitzenprodukt. Sein 120 PS starker Elektromotor saugte die Energie aus wiederaufladbaren Lithium-Ionen-Akkus*, wie sie auch in Laptops steckten. Einer dieser Hochleistungsakkus reichte für tausend Kilometer und war in Minutenschnelle an der Tankstelle ausgetauscht. Die Ionen-Akkus waren eine Erfindung aus dem Silicon Valley und hätten der Autoindustrie schon vor zwanzig Jahren den Weg in die Zukunft weisen können. Doch die Entwicklung war von der Mineralöl-Lobby bewusst verlangsamt worden. Die großen Autohersteller hatten das Elektroauto ignoriert und setzten auf die Entwicklung der Brennstoffzelle, die sich schon damals als Irrweg erwiesen hatte. Auch dies eine reine Verzögerungstaktik im Interesse der mächtigen Mineralölindustrie.
Ganz anders auf Tahiti. Dort hatte die Politik energisch eingegriffen in den Blindflug kapitalistischer Interessen. Wie hatten sie die Umstellung von den Benzinkutschen hin zu Solarmobilen und Elektroautos bewerkstelligt? Es war ein schleichender Prozess gewesen, anders war das auch nicht vorstellbar. Als erstes hatten sie eine Flotte von Bussen in Betrieb genommen, die mit kaltgepresstem Pflanzenöl betrieben wurden. Diese Busse versorgten die gesamte Insel rund um die Uhr. Gleichzeitig waren Werkstätten eingerichtet worden, in denen man sein Auto vom Verbrennungsmotor auf neue Antriebsaggregate umrüsten konnte. Neuzulassungen gab es nur noch für Fahrzeuge, die dem geforderten Standard entsprachen. Wer sein altes Auto ablieferte, bekam dagegen eine ordentliche Prämie ausgezahlt.