Es fehlt einfach der Mut, etwas Neues zu denken
„Erzählen Sie mir etwas Neues“ lautete das Motto beim digitalen Kölner Kongress 2022, den die Literaturwissenschaftlerin Eva Horn dazu nutzte, sich dem Nutzen und Nachteil düsterer Zukunftsprognosen zu widmen. Ihr Essay wurde am 6. April 2022 unter dem Titel „Sagen Sie doch mal etwas Positives“ vom Deutschlandfunk gesendet. Eva Horn ist Professorin für Germanistik an der Universität Wien. Zu ihren Interessengebieten gehören die Literatur und Kunst im Anthropozän.
https://www.deutschlandfunk.de/sagen-sie-doch-mal-was-positives-100.html
Der Stoßseufzer, der in der Überschrift ihres Beitrages steckt, hätte eigentlich vermuten lassen, dass unsere Maeva-Trilogie einen breiten Platz darin hätte finden müssen.
„Menschen, die sich für Umweltprobleme oder Nachhaltigkeit interessieren, wollen nicht nur abstrakt etwas über die komplizierten Zusammenhänge eines langsam aus der Balance geratenden Erdsystems hören. Sie wollen berechtigterweise Lösungsvorschläge – oder wenigstens Ideen und Wünsche,“ schreibt die Autorin. „Wo wollen wir denn eigentlich hin? Wie wird die Welt aussehen, während und nach dem Umbau zu einem Wirtschafts- und Sozialsystem, das einen Netto-Null-Ausstoß von Treibhausgasen hat? Eine Gesellschaft, die weniger oder anders mobil ist und die ressourcenschonend wirtschaftet?
Wie können wir es schaffen, dass Konsum und Energieverbrauch sinken – aber die Leute trotzdem zufrieden sind, Arbeit haben, reisen können. Probleme zu analysieren und düstere Prognosen zu stellen erscheint da eher kontraproduktiv. Positive Narrative müssen her.“
Ach, wie sehr die Professorin uns doch aus der Seele spricht. Haben wir die Lösungsvorschläge doch seit Jahren parat. Schriftlich fixiert in dem Sachbuch „Equilibrismus – Neue Konzepte statt Reformen für eine Welt im Gleichgewicht“ (2006). Und kurz darauf in einer Roman-Trilogie, die unsere sozio-ökologische Gesellschaft sinnlich erfahrbar macht. Für Professor Horn eigentlich ein gefundenes Fressen. Aber was macht sie draus?
„Nicht, dass es hier nicht schon einiges gebe,“ schreibt sie. „Einerseits sind da die guten alten literarischen Visionen von einem Leben im Einklang mit der Natur, verbunden mit einer idealen Gesellschaft. So etwa die frühneuzeitlichen Robinsonaden, wo sich findige Schiffbrüchige in einer fremden Welt einrichten und es damit besser machen als Zuhause, oder die Utopien, die ein straff organisiertes, aber auch nachhaltig wirtschaftendes Staatswesen entwerfen. Die Schäferidyllen des 18. Jahrhunderts schildern sorgloses Landleben als ein Ideal des einfachen Lebens, wo man sich ganz Wein, Weib und Gesang widmen kann. Erst im Zeitalter der Industrialisierung entstehen Utopien, die sich ausdrücklich als Gegenentwurf der herrschenden Verhältnisse verstehen, so etwa Theodor Hertzkas Idee vom Freiland, eine Mischung aus Sozialismus und Traum vom authentischen Leben auf dem Land.“
Wo bleibt die Maeve-Trilogie? Ah, hier: „Öko-Utopien, mit denen wir heute noch etwas anfangen können, sind dagegen eher rar. 2007 hat Dirk C. Fleck mit seinem Roman „Das Tahiti-Projekt“ den Versuch unternommen, etliche Ideen und Experimente zur ökologischen Transformation in einen Thriller zu verpacken, der gleichzeitig als Nachhaltigkeitskompendium dient.“
Das war‘s. Das ist alles in einem fast halbstündigen Radiofeature. Wir sind darüber ein wenig verärgert, verwundert sind wir nicht. Wir kennen die Scheu und das Unverständnis, mit dem sich die Medien unserer Grundidee nähern. Was der Equilibrismus nämlich vorschlägt, ist die totale Kehrtwende: raus aus dem alten, fehlerhaften und verfahrenen System, hin zu etwas völlig Neuem – hier wären unsere Vorschläge, seht sie euch an! Probieren wir es aus, und sei es auch nur in einem Modellversuch.
Soweit kommt es in der Regel aber nicht. Es fehlt die Bereitschaft etwas Neues auszuprobieren. Aber solange wir das nicht tun, solange uns dazu der Mut fehlt, werden wir nie erfahren, ob es abseits der eingefahrenen und äußerst brüchigen Schienen einen Weg gibt, der uns wirklich aus dem Dilemma führen kann. Im Moment passiert lediglich das, was der leider verstorbene Mitherausgeber der FAZ, Frank Schirrmacher, in einem Gespräch mit Dirk C. Fleck sagte: „Es ist der Mangel an Illusionen, der mich erschreckt. Wir handeln wie Elektriker, die in einem völlig herunter gekommenen Haus noch schnell eine Leitung reparieren.“