FUNDSTÜCK
Dies ist ein Paradebeispiel dafür, dass man unsere verheerende Situation zwar punktgenau analysieren kann, aber vor den logischen und erforderlichen Konsequenzen aus „moralischen Gründen“ dann ängstlich zurückschreckt. Selbst der verstorbene Literaturnobelpreisträger Günter Grass reihte sich letztlich wieder ein in die Riege der weichgespülten Bedenkenträger.
Ein Fundstück aus dem Jahre 2013.
Das Hamburger Abendblatt sorgte mit einem Interview bundesweit für Aufmerksamkeit. Übertitelt war das Stück mit den Worten “Grass warnt vor Ökodiktatur”. Hier einige Auszüge daraus:
Glauben Sie, dass das Thema Atomenergie heute das wichtigste Thema ist?
Grass: Wissen Sie, das gibt es nicht, EIN wichtigstes Thema. Das Ende der Ressourcen etwa, das Ende des Wachstums, die Globalisierung, die Wasserknappheit, das alles ist genauso wichtig. Die Gefahr ist, dass sich in naher Zukunft all das zusammenballt. Die Verteuerung der Lebensmittel, die die Menschen hier nur ein wenig ärgert, schlägt in der sogenannten Dritten Welt existenziell zu Buche. Ob das der steigende Soja- oder Reispreis ist.
Was befürchten Sie, was kommt konkret auf uns zu, wenn all diese Dinge sich ballen?
Grass: Meine schlimmste Befürchtung ist, dass wir eine Öko-Diktatur bekommen. Wir müssten dann mit Notstandsverordnungen leben.
Das heißt, nur eine Diktatur kann gegen solche Katastrophen vorgehen, weil die Demokratie so lange diskutiert, bis das Problem …
Grass: … jetzt machen Sie einen gewaltigen Schritt. Nein, wir müssen auf demokratische Art und Weise die Politiker wieder handlungsfähig machen und den Einfluss der Lobby begrenzen.
Das bedeutet, dass Demokratien mit dem Ausmaß der Katastrophen, die auf uns zukommen, gar nicht umgehen können?
Grass: Ja sicher. Die Notstandsgesetze der Bundesrepublik sind bis jetzt noch nicht zur Anwendung gekommen – Gott sei Dank. Aber sie schlummern … Das wäre dann der erste Schritt …
Angesichts der Tatsache, dass diese Probleme heute noch genau so bestehen oder sich sogar verschlimmert haben – sind Sie radikaler geworden?
Grass: Ich bin radikaler geworden. Radikal auch deswegen, weil sich in dem Maße, in dem die Globalisierung Fortschritte machte, die Problematik aus dem nationalen Bereich heraus verlagert hat. Das ist eine zweischneidige Sache: Auf der einen Seite wissen wir, um auf das atomare Problem zurückzukommen, dass das nur weltweit zu regeln ist. Aber es gilt auch, gleichzeitig national zu argumentieren: Man muss zu Hause anfangen.
Sind Sie eher optimistisch, wenn Sie ansehen, was da vor uns liegt, was wir an Problemen lösen müssen? Glauben Sie, das ist zu schaffen? Oder sehen Sie da eher schwarz?
Grass: Ich bin aufgrund meiner Erfahrung eher skeptisch. Da kann man sich nur fragen, inwieweit wir bereit sind, Konsequenzen zu ziehen.
Interessant, findet ihr nicht? Da kommt jemand in der Analyse zu den richtigen, zu den erschreckendsten Ergebnissen und was schlägt er zur Abwendung des globalen Ökozids vor? “Wir müssen auf demokratische Art und Weise die Politiker wieder handlungsfähig machen.” Ja super, Günter, und das natürlich weltweit. Wie verblendet muss man sein, um im Kampf gegen kollabierende Wirtschafts-Polit- und Ökosysteme darauf zu setzen, dass der Einfluss der Lobbyisten auf die Politik nachlässt, möglichst sofort, und die Politiker ein Problembewusstsein entwickeln, das jede Meinungsverschiedenheit im Interesse eines schnellen, energischen Handelns verbietet. Weltweit wohlgemerkt. Wie sagte Cording im “Tahiti-Projekt”: “Unsere zaghaften Versuche, den Ökozid abzuwenden, kommen mir vor, als würden wir am Strand einem herannahenden Tsunami mit der Kraft unseres Atems Einhalt gebieten wollen. Wer ihn lediglich wegzupusten versucht, macht zwangsläufig Bekanntschaft mit ihm …”
Ich würde mit Grass gerne diskutieren, hart aber fair – bei Illner, Maischberger oder Will. Ich würde gerne das “Tahiti-Projekt” als Alternative ins Gespräch bringen und das, was Maeva! predigt. Und wenn dann, wovon auszugehen ist, in der Runde Widerspruch erwächst, weil ein radikaler Paradigmenwechsel zum Positiven hin die Vorstellung meiner Gesprächspartner übersteigt, würde ich für die Ökodiktatur plädieren. So wie ich es 1993 schon einmal gemacht habe, als ich permanent missverstanden wurde. Denn die Erde interessiert es nicht, ob wir über ihren Zustand verschiedener Meinung sind oder nicht – sie krepiert gerade. Wir sind verpflichtet zu handeln, und zwar schnell. So oder so ….
Autor: Dirk C. Fleck