Bhutan – eine Vision aus dem „Südsee-Virus“ wird Wirklichkeit
Ein kleines Königreich im Himalaya sorgt für erfreuliche Schlagzeilen: Bhutan will das weltweit erste 100 Prozent biologische Land werden. Im Roman „Das Südsee-Virus“ (als Hardcover „MAEVA!“) ist Bhutan einer der eindrucksvollsten Schauplätze:
Das sonst so beschauliche Thimphu befand sich schon vor Sonnenaufgang in einem merkwürdigen Erregungszustand. Zehntausende Bhutanesen waren von weit her in die Hauptstadt gereist, um der Thronrede des jungen Königs beizuwohnen.
Cording und Steve schlossen sich dem Strom der Menschen an, der umso stärker wurde, je näher sie dem Nationalstadion kamen. Steve stieg auf das Tribünendach, um das Spektakel von oben zu filmen. Viel Zeit blieb nicht, im Osten kündigte sich bereits die Dämmerung an. Sobald die Sonne die schneebedeckten Gipfel erklommen hatte, würde man das Tankha einrollen, die Farben vertrugen kein Sonnenlicht. Cording war gespannt, wie sich die Stimmung wohl gestaltete, wenn der neue König vor die Massen trat. Der Mann, gerade 28 Jahre alt geworden, war ziemlich überraschend zum Druk Gyalpo, zum Drachenkönig, gekrönt worden.
In die Menge kam Bewegung. Cording hatte den Eindruck, als würde sie zu einem einzigen Körper verschmelzen, der sich langsam auf die Zehenspitzen stellte. Wie auf Verabredung wedelten die Menschen plötzlich mit ihren gelb-roten Nationalfähnchen, auf denen sich der weiße Drachen vor Vorfreude nur so schüttelte. Zwei Musikkorps marschierten unter Trommelwirbeln Seite an Seite ins Stadion, auch sie in die Landesfarben gekleidet. Die Musiker nahmen vor der Ehrentribüne Aufstellung und begannen zu spielen, während sich ein offener Jeep den Weg durch das Osttor bahnte. Ein ohrenbetäubender Jubel scholl dem König entgegen, der aufrecht neben dem Fahrer stand und recht angespannt wirkte, wie Cording fand. Er zupfte mehrmals die wollene, knallgelbe, nur dem Herrscher vorbehaltene Stola zurecht, die er sich um die Schulter geworfen hatte. Gelegentlich hielt er sich an der Windschutzscheibe fest, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten.
Der Jubel begleitete den Monarchen die Treppen hinauf, verstummte aber schlagartig, als er auf dem freien Platz inmitten seiner Ehrengäste Platz nahm. Cording traute seinen Augen nicht, als er links neben dem König Maeva entdeckte. Sie trug den in der Taille geknoteten rot-gelben Pareu, den sie schon während ihrer Rede in Sydney getragen hatte. Wer war noch da oben? Prinzessin Kissan Mangwo natürlich, sie saß zur Rechten ihres Bruders. Rajani und Suu Kyi hatte man eine Reihe dahinter platziert. Der Mann in ihrer Mitte musste Bhutans Chefastrologe sein.
Die Stille im Stadion war beeindruckend. Cording konnte nur hoffen, dass Steve bei seinen waghalsigen Drehmanövern nicht vom Dach fiel. Irgendwann mussten die Achttausender, die der meditierenden Versammlung im Stadion von Thimphu aus der Ferne zusahen, dem Druk Gyalpo ihr Einverständnis gegeben haben, jedenfalls erhob er sich und schritt zum Mikrofon.
„Liebe Landsleute“, begann er mit fester Stimme, „in einer sich verändernden Welt stehen wir vor großen Herausforderungen, denn die Globalisierung kennt weder Frieden, Sicherheit noch Glück.“
Wow! Cording schluckte. Er konnte sich nicht erinnern, jemals einen Politiker gehört zu haben, der das Problem derart schnell und schonungslos auf den Punkt gebracht hätte.
„Aber genau diese drei Dinge sind die Hauptpfeiler unserer Philosophie der Nationalen Glückseligkeit“, fuhr der König fort. „Nach Jahrhunderten der Isolation haben wir uns vor einigen Jahrzehnten dazu entschieden, uns der Welt gegenüber zu öffnen. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Deshalb verspreche ich euch, dass der Kontakt nach außen in Zukunft so gestaltet wird, dass der Frieden unserer Nation, ihr Glück und ihre Sicherheit wieder gewährleistet sind. Viele von uns haben die beeindruckende Rede der neuen URP-Generalsekretärin im Staatsfernsehen verfolgt und ich bin glücklich und stolz, euch mitteilen zu können, dass sie heute unser Gast ist! Die Menschen von Bhutan heißen Sie aufs Herzlichste willkommen, Maeva!“
Wer geglaubt hatte, dass der Jubel für König Singye Yangdon Wangchuck nicht mehr zu überbieten war, sah sich getäuscht. Maevas Anwesenheit löste im Stadion eine hysterische Kettenreaktion aus. Zu Tausenden drängten die Menschen in Richtung Ehrentribüne. Woanders hätte man der wogenden Menge unter dem Einsatz von Schlagstöcken Einhalt geboten, hier reichte die erhobene Hand des Königs, um ihm erneut Gehör zu verschaffen.
„Bürger von Bhutan! Hiermit erkläre ich feierlich den Beitritt unseres Landes zur URP! Ich bin sicher, dass wir in diesem Verbund unabhängiger Regionen unter der Führung Maevas wieder Frieden und Liebe in die Welt tragen werden!“
An Tagen wie diesem schöpfte sogar Cording wieder Hoffnung. Wie jeder, der den Realitäten nicht mehr gewachsen war, neigte auch er gelegentlich zum Kitsch.
Auszug aus „Das Südsee-Virus“ von Dirk C. Fleck
Foto: Kloster Taktshang in Bhutan von Douglas J. McLaughlin aus Wikipedia (Lizenz: CC BY-SA 3.0)