Auf nach Equitopia!
Die Welt ins Lot bringen: gute Idee. Aber wie und wo anfangen? Am besten mit einem neuen Gesellschaftssystem auf einer entlegenen Insel. Die Equilibristen machen’s vor. // Sylvia Meise
Rapa Iti heißt die Insel. Sie liegt in Französisch-Polynesien. Deren Präsidentin Roti Make d’Assignies hat sich schon vor zwei Jahren entschieden. Sie setzt sich seitdem dafür ein, dass ihre Insel das erste „Gebiet im Gleichgewicht“ wird. D’Assignies hat in der Schweiz Modedesign studiert; ihr Großvater war der letzte König der Insel. Nun haben auch der „Rat der Weisen“ und die „Hüter der Erde“, die höchsten Gremien der 500 Einwohner zählenden Insel, grünes Licht gegeben. Jetzt sollen die Insulaner selbst befragt werden. Insgesamt 4 000. Die meisten jedoch sind weggezogen, um Arbeit zu finden. Nur einmal im Monat kommt man von außen dort hin. Durch die Rückbesinnung auf traditionelle Techniken kombiniert mit hochmodernen Erkenntnissen hofft Eric Bihl, sie zum Teil zurückzugewinnen – und die anderen Inseln, die ganze Welt mit der Idee anzustecken.
„Die Zeit drängt“, sagt der gebürtige Elsässer. „Wir dürfen nicht länger am alten System herumdoktern, wir müssen endlich Neues wagen!“ Wenn Eric Bihl über seine Vision spricht, lodert er vor Engagement. Vor 15 Jahren gründete er den Verein Equilibrismus – equilibrium ist lateinisch und heißt Gleichgewicht. Die Devise: Think big und nachhaltig. Die Welt soll umstellen auf ökologische Alternativen, natürliche Kreislauf-Wirtschaftssysteme, nachhaltige Geld- und Bodenordnung und Weltbürgertum. Im Grunde ähnelt das Konzept einem Demeter-Bauernhof – möglichst wenig bis nichts hinzukaufen und alles komplett verwerten. Kein Raubbau der Natur, kein Müll, der sich nicht wieder verwenden lässt.
Realisierbar? Das soll das Pilotprojekt Rapa Iti zeigen, das natürlich weit über einen Bauernhof hinausgeht. Bihl und rund 100 Mit-Equilibristen dachten für den Anfang an ein überschaubares Gebiet. „Die Insel ist ideal. Auch ein abgelegenes Stück Land wäre es, denn: wir müssen ja noch lernen.“ Außer Rapa Iti sind noch zwei Orte im Gespräch: die Insel Niue (nahe Neuseeland) oder ein Teil Islands.
Die Inseln rücken das Geschehen sehr weit weg von Europa. Die Abgeschiedenheit hat Nachteile, räumt Bihl ein. Allerdings könne man dort in Ruhe ausprobieren, was am besten funktioniert. Island wäre als Anschauungsobjekt interessanter, doch dort hingen die Menschen noch sehr an einem Lebensstandard, der mit der Öko-Vision schlecht harmoniert. Trotz Finanzkrise und Umweltproblemen durch die hochgiftige Aluminiumproduktion seien sie womöglich noch nicht bereit fürs radikale Umdenken, das konsequent auf ökologische Kreisläufe setzt.
Dieses Akzeptanzproblem dürfte den Equilibristen fast überall entgegenschlagen. Auch wenn angesichts des Klimawandels unstrittig ist, dass sich sehr bald sehr viel ändern muss. Eric Bihl betont, „Wir wollen nicht zurück in die Steinzeit!“ Als Alternativen zu Asphalt und Plastik gäbe es ökologisches Hightech.
Hochschulen wollen begleiten
Ein nächster Schritt auf Rapa Iti wäre der Bau eines Zukunftsinstituts. Zusammen mit den Einheimischen sollen Experten vor Ort herausfinden, welche Gesellschaftsform am besten passt, welche natürlichen Baustoffe es vor Ort gibt oder wie die Menschen mobil sein wollen. Für alles seien ökologisch vertretbare Lösungen vorhanden. Dass nicht nur Fantasten interessiert sind, zeigt die Auszeichnung durch die Zeitschrift natur+kosmos als „Projekt der Zukunft“ und die Zusage von Hochschulen sowie Öko-Pionieren wie Sepp Braun, den Modellversuch zu begleiten. Jetzt will der Verein Bio-Firmen als Sponsoren ins Boot holen. Sonnentor und die Bio-Hotels hätten bereits zugesagt.
Ob das klappt? Das wirtschaftliche Konzept ist universell denkbar, das politische und finanzielle System dagegen weniger. Mit seinen Vorträgen vermag der Equilibrist zu begeistern. Manche Zuhörer diskutieren danach in Internetforen weiter: „Zu schön, um wahr werden zu können“, heißt es dort oder „die Natur des Menschen“ stehe dagegen. Andere fragen sich, wie die Macht der Konzerne durch Regiogeld- und Dezentralisierung konterkariert werden soll – aber auch: „Und wenn es wirklich funktioniert?“
„Probieren wir es doch aus!“ Eric Bihl findet auf alles Antworten. Auf einem Bauernhof aufgewachsen, Wirtschaft studiert, arbeitet er seit 25 Jahren beim europäischen Patentamt in München – der Mann ist kein Spinner oder Öko-Freak. „Ohne die Leute, die im bestehenden System Öko-Pionierarbeit geleistet haben, sind wir nichts“, betont er mit bayerisch-französischem Zungenschlag. Er brennt darauf, die Puzzleteile alternativer Lösungen auf den Tisch zu legen und zusammenzusetzen. Sein Credo: „Es geht nicht darum, die Welt zu retten – die Natur rettet sich selbst –, sondern die Gesellschaft.“ Und so lange Bihl weiter Leute wie die Inselpräsidentin Roti Make d’Assignies überzeugen kann, ist sein Equitopia nicht gestorben.
Quelle: https://schrotundkorn.de/lebenumwelt/lesen/201204b08.html
Slyvia Meise
Schrot und Korn