Kopf-Los
Der Schriftsteller Blaise Cendrars (1887-1961) erzählt in seinen Erinnerungen von einem 18-bändigen Abenteuerroman, den er geschrieben und auf dem Weg zum Verleger nach einer amourösen Begegnung in einem Pariser Stundenhotel liegen gelassen hatte, wo es vom eintreffenden Reinigungspersonal sofort der frühen Müllabfuhr übergeben wurde. Das Manuskript umfasste 1800 Seiten.
Der achte Band trug den Titel: EUROPA OHNE KOPF. In ihm ging es darum, dass die jungen Pariser Maler (Picasso, Braque, Léger), die Musiker (Satie, Strawinsky, Ravel) und die Dichter (Apollinaire, Max Jacob und Cendrars selber), die alle noch unbekannt waren, jedoch sehr bald berühmt werden sollten, von einer Verbrecherbande im Auftrag des Staates ermordet werden. Cendrars: „Es ging um die Frage, ob man die geistige Zukunft Europas und damit der Welt, der Vormundschaft der Journalisten, Politiker und Pseudokünstler überlassen darf.“
Es war 1985, als ich von Cendrars Missgeschick erfuhr. Die Geschichte rund um das verschollene Stück Weltliteratur faszinierte mich. Das Thema sowieso. Seitdem trage ich mich mit dem Gedanken, die Idee aufzunehmen und EUROPA OHNE KOPF sozusagen nachzuschreiben. Nur dass die Namen der Ermordeten noch unbekannt sind, denn natürlich gibt es damals wie heute eine Reihe begnadeter Künstler und Persönlichkeiten (Harald Finke, Norbert Hinterberger, Arndt Kästner, Michael Cording, um nur einige zu nennen), die sich am Kulturbetrieb die Zähne ausbeißen. Allerdings befürchte ich, dass das Projekt auch weiterhin warten muss, da der sich anbahnende Ökozid dem Zeitzeugen in mir die Kräfte bindet.
Wem Blaise Cendrars noch kein Begriff ist, dem empfehle ich seinen Roman „Moloch. Das Leben des Moravagine „.