Eintritt der Edelmann
Manchmal kommen sie zurück, die Verstorbenen. Sie küssen Deine Seele und der Tag erliegt ihrem Einfluss. Heute habe ich Besuch von Michael Cording, der mir kurz vor seinem Tode gestattete, meinen Protagonisten im „Tahiti-Projekt“ nach ihm zu benennen.
Wir hatten uns 1967 in Berlin kennen gelernt, wir arbeiteten zusammen bei einer Zeitung und wurden Freunde. Ein Leben lang. Michael war kraftvoll, mutig, couragiert, von Melancholie erfüllt und von Liebe – er war ein Dichter, er hat das Leben verdichtet. Auf wenige Zeilen. Zunächst hat er in seiner Bibliothek aufgeräumt, am Schluss blieben zwanzig Titel übrig. Dann hat er seine Gedichte sortiert, die meisten hat er verworfen, wenige auf Hochglanz poliert, ihnen eine unwiderstehliche Strahlkraft verliehen, die einen in manchen Momenten das Licht der Welt erblicken lässt. Am Ende blieb ein im Selbstverlag gedruckter Band mit dem Titel „Japanischer Damenfuss um 1900“ als Vermächtnis übrig. Große deutsche Lyrik, unentdeckt, wie so vieles, was nicht ins Geschäft passt …
himmel, hölle, edelmann
die lebenswut verschlungner jahre
erbricht ein erstes, böses keuchen
und wenig hilft,
dass mich der ruf des todes nicht sonderlich erschreckt,
zumal ich weiß,
wie sehr es ihm gefällt,
jedweden lebensplan
mit theatralischem getöse
zu entwerten.
gehängt, gepfählt, zerstückelt,
schamlos tot zur schau gestellt,
besetzen glaube, hoffnung, liebe
schweißvergorene grotten
schlechtgelaunter träume.
wer mag da schlafen,
welcher art ist ein erwachen?
schon fühl ich mich zuhaus
im bodenlosen.
die unruh rast in fremdem takt
und bilderfluten schießen tosend
aus einem zeitenschlund, der wie zum spaß
nach meiner kehle schnappt.
Michael Cording
1943-2007
PS: „Eintritt der Edelmann“ ist eine Regieanweisung von Friedrich Schiller