Wie ist unser Modellversuch zu verstehen?
Eine Grundgesetzlichkeit für die neuen Spielregeln ist die Einführung des Prinzips des Biozentrismus. Konkret bedeutet Biozentrismus, dass alle menschlichen Tätigkeiten im Einklang mit den Regeln und Kreisläufen der Natur stehen müssen, da wir uns nicht getrennt hiervon betrachten können. Allein die Tatsache, dass sowohl Kapitalismus als auch Kommunismus auf der anthropozentrischen Sichtweise aufbaut, sollte klarmachen, dass beide Systeme nicht reformiert werden können, sondern dass wir komplett neue Systeme erarbeiten müssen.
Dabei ist vor allem das zerstörerische Postulat fortwährenden Wachstums, dem wir bisher folgen wie die Lemminge, durch die Orientierung am natürlichen Wachstumsverlauf zu ersetzen. Schon mit dem »ABC« und dem »Einmaleins« sollten Kinder lernen, dass es in einem begrenzten Raum kein unbegrenztes Wachstum geben kann, dass es für jedes gesunde Wachstum eine optimale Obergrenze gibt, dass sich alle Teile eines Ganzen bei ihrer Entfaltung am Wachstum der Gesamteinheit orientieren müssen. Jeder Baum, jeder Organismus verlangsamt sein Wachstum beim Erreichen der angemessenen Größe, und das Verhältnis von Krone, Stamm und Wurzeln beziehungsweise der einzelnen Organe eines Körpers zueinander folgt einem vorgegebenen, »gesunden« Muster.
Weitere zu beachtende Prinzipien bei der Durchführung eines Modellversuchs mit einem neuen sozioökologischen Wirtschaftssystem sind folgende:
+ Aller technischer Fortschritt muss auf seine Kompatibilität mit den Naturregeln überprüft werden. Das benötigt Zeit und setzt die von Peter Kafka geforderte »Entschleunigung« unserer Entwicklungen voraus. Derzeit sind etwa 99 Prozent der menschlichen Aktivitäten umweltschädigend. In Zukunft müssen zunächst alle möglichen Auswirkungen einer Neuentwicklung simuliert und daraufhin überprüft werden, ob das Neue mit dem Alten zusammenpasst.
+ Für bereits in Anwendung befindliche Technologien müssen objektive und umfassende Nutzen- und Schadensbilanzen erstellt werden, also mit Berücksichtigung der gesellschaftlichen und Umweltkosten. Nur so sind faire Entscheidungen zwischen herkömmlichen und ökologischen Technologien möglich.
+ Ein aufgeschlossener Geist muss sich auch in Wissenschaft und Lehre sowie den Medien durchsetzen. Derzeitige »postautistische« Bewegungen, die eine Vielfalt der Lehrinhalte fordern, gehen bereits in diese Richtung.
+ Bereits erkannte Irrwege dürfen nicht länger mit der einseitigen Begründung des entgehenden Profits weiterverfolgt werden. Dazu gehört in erster Linie die Verwendung endlicher (unterirdischer) Ressourcen. An ihre Stelle sollen regenerative (oberirdische) Ressourcen treten. Die dafür bereits vorhandenen Technologien sind auszubauen und weiterzuentwickeln.
+ Allerdings sollen falsche Wege nicht bekämpft werden, sondern es soll durch Einsatz für einen besseren Weg der Anreiz zum Nachahmen geschaffen werden, um so den Kreis der mitmachenden Regionen zu erweitern.
+ Unnötige Gegenwehr von Multis sollte vermieden werden, indem Vorhaben nicht gegen sie gerichtet werden, sondern indem sie Unabhängigkeit von ihnen schaffen, und sie somit entbehrlich machen.
+ Gewachsene kulturelle, traditionelle und ethnische Gegebenheiten sollen, soweit die Menschenrechte gewahrt sind, respektiert und durch ein auf lange Sicht einzuführendes weltföderalistisches System gefördert werden.
+ Den geografisch, klimatisch und historisch bedingten Unterschieden der einzelnen hinzukommenden Regionen soll Raum gegeben werden, damit die so wichtige natürliche Vielfalt möglich ist.
+ Es soll kein Wettrennen aller Regionen und kein Duell einer Region mit einer anderen, mit Siegern und Verlierern, geben. Jede Region führt einen Wettbewerb mit sich selbst, mit ihren bisherigen Gegebenheiten, indem sie sich um die Verbesserung ihrer eigenen Lebensgrundlagen bemüht. Dazu gehört vor allem die Vermehrung des biologischen Reichtums.
Das sozioökologische Wirtschaftssystem des Equilibrismus im Modellversuch
+ Hier müsste später auch ein internationales Bewertungs- und Verrechnungssystem ansetzen, das Verbrauchssteuern im Sinne der im vorhergehenden Kapitel beschriebenen sieben Steuerarten erhebt und auf alle Regionen gemäß ihrer erzielten biologischen Verbesserungsraten verteilt.
+ Der biologische Reichtum, quasi das Naturvermögen einer Region, setzt sich aus der ortsgebundenen Flora und Fauna zusammen, weil diese über die in lang dauernder Evolution erworbene »lokale Fitness« (Endemie) verfügen und so die weltweite Artenvielfalt gesichert wird. Auch der Mensch mit seinem Wissen und Können (»Humankapital«) gehört dazu!
+ Der Modellversuch erlaubt einen Beginn im Kleinen; er kann sich mit angemessener Geschwindigkeit in andere Regionen ausbreiten. Das macht den Unterschied zu bisherigen globalen Vorhaben, die gleich alle Staaten zum Mitmachen bewegen wollen (Kyoto-Protokoll, Tobin-Tax, UN-Resolutionen etc.).
+ Als letzter Punkt soll auch hier noch einmal an die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips erinnert werden.
Praktische Schritte – die Startphase
Beginnen muss man zunächst in einer Region, in der zuerst die Prinzipien der Öko Alternativen (vor allem bei der Energieerzeugung) und der nachhaltigen Wirtschaftsordnung in die Praxis umgesetzt werden. Wenn sich eine weitere Region diesem Modellversuch anschließt, kann mit der Bildung einer Föderation begonnen und so erste Schritte auf dem Weg zu einem Weltbü rgertum mit einer reformierten UN gemacht werden.
Bei der Umstellung der Wirtschaftsform auf nachhaltige Grundlagen mit dem Ziel einer Welt im ökologischen Gleichgewicht stehen folgende wichtige Umwälzungen an:
+ Der Energieverbrauch muss zunächst reduziert werden. Dies geschieht zum einen durch Unterlassung von Verschwendung (banales Beispiel: Klimaanlagen, die Räume so abkühlen, dass man sich im Pullover einen Schnupfen holt), zum anderen durch die Erzielung einer besseren Effizienz. Das Einsparpotenzial aufgrund von technologischen Fortschritten dürfte bei 50 Prozent des derzeitigen Verbrauchs liegen. Voraussetzung ist allerdings ein bereits bei der Planung auf Ressourcenschonung ausgerichtetes Denken, zum Beispiel bei der Ausrichtung von Häusern und ihren Dächern.
+ Die Energieversorgung muss auf regenerative Quellen umgestellt werden und eine Mischung der jeweils geografisch optimalen Ressourcen nutzen.
+ Die Energieerzeugung soll so dezentral wie möglich erfolgen, um einerseits Oligopolbildungen zu verhindern und andererseits die Leitungsverluste so gering wie möglich zu halten.
+ Alle Produkte müssen aus verrottbaren Werkstoffen hergestellt werden, also kompostierbar sein, womit Müll erst gar nicht anfällt. Damit werden auch die Schäden bei Katastrophen wie Überschwemmungen, Orkane, Brände etc. verringert.
+ Für alle benötigten Produkte, für die es noch keine biologisch abbaubaren Werkstoffe gibt, sollen die Recyclingverfahren optimiert werden.
+ Vor allem in Gebieten, in denen die Bevölkerung nicht mehr wächst, muss die weitere Bodenversiegelung gestoppt werden. Nicht mehr benötigte Flächen (zum Beispiel nach Firmenstilllegungen) sollen renaturiert werden, um den Lebensraum der Pflanzen- und Tierwelt quantitativ und qualitativ (durch größere zusammenhängende Flächen) zu erweitern und zusätzliche CO2-Speicher zu gewinnen.
+ Die Biodiversität, die Vielfalt der Flora und Fauna, soll erhalten beziehungsweise erneuert werden. Je zahlreicher die Arten sind, desto geringer sind die Schäden, die durch Krankheitenmverursacht werden können.
+ Statt Schädlinge chemisch zu bekämpfen und Pflanzen auf ausgelaugten Böden zwangszuernähren, soll der Boden Gelegenheit zur Regeneration bekommen, um seine natürliche Fruchtbarkeit durch die Zunahme des Bodenlebens wiederzuerlangen. Pflanzen mit gesundem Stoffwechsel werden nicht von Schädlingen befallen.
+ Da die Erträge beim ökologischen Anbau beziehungsweise der Permakultur letztlich nicht geringer ausfallen als bei der Verwendung von chemischem Dünger, von Pestiziden, Insektiziden und Fungiziden, der Einsatz von Kapital und der Arbeitsaufwand aber viel geringer sind, gebietet auch die ökonomische Vernunft einen Umstieg. In den Entwicklungsländern ist die Umstellung auf biologischen Anbau keine große Sache: 80 Prozent der Bauern erfüllen bereits heute die Anforderungen
+ vor allem, weil sie bisher zu arm waren, um sich die »Segnungen« der Agrarchemie leisten zu können.
+ Um nicht gezwungen zu sein, die Leistungsfähigkeit der Böden zur Produktion von Getreide im Übermaß zu strapazieren, muss die heutige unsinnige Verfütterung von 40 Prozent des wertvollen Getreides gestoppt werden. Zur Erzeugung von einer Kalorie Fleisch werden zwölf pflanzliche Kalorien verbraucht.
+ Auf tierisches Eiweiß ist auch aus anderen Gründen weitgehend zu verzichten: Für ein Kilogramm tierisches Eiweiß werden 193 Quadratmeter Boden und über 100 000 Liter Wasser gebraucht, während zur Erzeugung von einem Kilogramm pflanzlichem Eiweiß bei Mais 22 Quadratmeter und 12 400 Liter Wasser und bei Soja 16 Quadratmeter und knapp 9000 Liter nötig sind. Die Alge Spirulina, die neben hoch konzentriertem Eiweiß auch noch wichtige Spurenelemente enthält, kommt für ein Kilogramm Eiweiß mit einem Quadratmeter und 2500 Litern Wasser aus.
+ Abgesehen vom ethisch nicht vertretbaren Umgang mit den Tieren in der Massentierhaltung (wo sehr treffend von Praktische Schritte – die Startphase des Modellversuchs »Fleischproduktion« gesprochen wird) werden durch den viel zu hohen Weltviehbestand große Mengen Methangas freigesetzt, die klimaschädliche Auswirkungen haben. Gleichzeitig schadet die Überweidung dem Boden durch erhöhte Erosion und verringert das Nahrungsangebot für die Tiere. Besser eine wohl genährte Kuh als zwei magere und kränkliche.
+ Es gilt angesichts der weiter wachsenden Weltbevölkerung, den Verlusten wertvoller Humusschichten durch Erosion Einhalt zu gebieten und alle Anstrengungen zu unternehmen, an die Wüsten verlorene Gebiete zurückzugewinnen. (Die Landfläche macht nur 29 Prozent der Erdoberfläche aus, und hiervon sind nur knapp mehr als die Hälfte von Vegetation bedeckt, wovon wiederum nur ein Sechstel Ackerland ist.)
+ Mit dem für alles Leben notwendigen Wasser muss ebenfalls sorgsam umgegangen werden. (Derzeit wird Trinkwasser in den reichen Ländern für Zwecke verschwendet und verschmutzt, für die auch Brauchwasser genügen würde, und in armen Ländern versickert das oft nur spärlich vorhandene Nass aus maroden Leitungen im Boden.) Es ist unsinnig, in Gegenden mit wenig Wasser Pflanzen mit hohem Wasserbedarf anzubauen (wie zum Beispiel Baumwolle) und dies durch staatliche Subventionen zu fördern.
+ Alle Subventionen sollten schrittweise, aber zügig abgebaut werden, da sie meist Anreize in die falsche Richtung oder gar zum Betrug bieten. Vor allem sollten keine vorübergehenden Brachflächen gefördert werden, da dadurch die Unkrautverbreitung unterstützt wird.
+ Die Überfischung muss umgehend gestoppt und den Fischbeständen Zeit zur Regeneration gegeben werden.
+ Beim Pflanzenanbau müssen hoch ertragreiche und vielseitig verwendbare Pflanzen stärker zum Einsatz kommen. Dazu zählen vor allem die Faserpflanzen, die sowohl als Rohstoff zur Energieerzeugung dienen als auch die Basis für Werkstoffe bilden können (aus Hanf können 40 000 verschiedene Produkte hergestellt werden, aus der Brennnessel 10 000).
+ Ein ganz wichtiger Faktor, sowohl beim Energie- (mit schädlichen Folgen für die Atmosphäre) als auch beim Landverbrauch, ist die Mobilität. (In Deutschland zum Beispiel gab es bereits 1983 knapp zwei Straßenkilometer je Quadratkilometer Fläche. Das war nach Belgien, Japan und den Niederlanden die vierthöchste Straßennetzdichte der Welt. Und auch wenn die Verkehrsflächen insgesamt »nur« zirka fünf Prozent des Bundesgebiets beanspruchen, so ist die von ihnen ausgehende Beeinträchtigung enorm: Die Emission verseucht angrenzende Flächen, der Lärm beeinträchtigt Menschen und Tiere. Vor allem aber gibt es immer weniger zusammenhängende Flächen von ökologisch bedeutsamer Größenordnung. Die Bodenschutzkonzeption der Bundesregierung von 1985 wies aus, dass es im gesamten Bundesgebiet lediglich 120 Flächen von zehn Kilometern mal zehn Kilometern gab, die nicht von Hauptverkehrsstraßen und Schienenwegen zerschnitten waren.)
+ Es gilt, zunächst den unnötigen Verkehr einzudämmen, der sowohl beim Personentransport als auch beim Güterfernverkehr riesige Ausmaße erreicht hat und derzeit weiter anwächst. Dies bedarf einer Kombination aus gesetzlichen Regelungen und Verteuerungen durch Einbeziehung sämtlicher Kosten in die Preisbildung, also auch der ökologischen, gesundheitlichen und sozialen Komponenten.
+ Für den notwendigen Verkehr müssen völlig neue Verkehrskonzepte entwickelt werden, die die Bedürfnisse der Reisenden und der Natur auf intelligente Weise zusammenbringen. Dazu gehört, dass für jeden Bedarf die optimale Lösung entwickelt und alle Fortbewegungsformen logistisch aufeinander abgestimmt werden. Für den heute dominierenden Individualverkehr verbliebe dann nur noch eine geringe Notwendigkeit.
+ Die Antriebsenergien sämtlicher Fortbewegungsmittel sollten weitgehend aus kaltgepresstem Pflanzenöl kommen, der optimalen Energieform, dessen Energieausbeute 15-mal effizienter ist, als die des immer wieder gepriesenen Wasserstoffs.
+ Es gilt, Motoren zu entwickeln, die eine möglichst hohe Energieausbeute haben. Beispiele wie der Elsbett-Gegenkolbenmotor (Fortbewegung) oder der Stirling-Motor (Erzeugung von Elektrizität und Wärme) zeigen, dass das Potenzial von den heute gebräuchlichen Motoren noch nicht ausgereizt wird.
+ Ein wichtiger Schritt zur Reduktion des Personennahverkehrs, vor allem aber des Gütertransports, ist die Regionalisierung der Wirtschaft.
Sinnlich erfahrbar wird das neue sozio-ökologische Gesellschaftsmodell in den Romanen „Das Tahiti-Projekt“ und „Maeva!“ von Dirk C. Fleck. Zu bestellen unter www.equilibrtismus.de
Im nächsten Blogeintrag beschäftigen sich Volker Freystedt und Eric Bihl mit dem Kernthema jedes alternativen Modellversuchs: der Nachhaltigen Wirtschaftsordnung.