Wunderpflanze Hanf: Und darauf können wir verzichten?!
Wenn das Wort Hanf fällt, assoziieren viele Menschen damit sofort einen »Joint« und das »Kiffen«. Wie vielseitig aber die Verwendungsmöglichkeiten von Hanf waren und in Zukunft sein könnten, wissen wegen der Ächtung von Cannabis die wenigsten.
Hanf hat eine lange Tradition und hatte eine weite Verbreitung. Der Anbau der anspruchslosen Pflanze ist unkompliziert und sehr ergiebig. Sie kommt ohne Dünger und Pestizide aus. Die Bedeutung von Hanf für die Entwicklung unserer Kultur war enorm: Ohne Hanf hätte es keine Seefahrt gegeben, denn nicht nur Segel und Tauwerk, sondern auch das Dichtmaterial zwischen den Planken war aus Hanf. Daraus wurden auch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts die meisten Textilien gemacht. Erst die industrielle Verarbeitung von Baumwolle brachte dieser einen Preisvorteil und glich damit die besseren Eigenschaften von Hanffasern (zum Beispiel bei der Feuchtigkeitsaufnahme) aus. Ein großer Vorzug der Hanfpflanze ist, dass sie von der Wurzel bis zu den Blattspitzen komplett genutzt werden kann und dass nur wenige und nicht sehr aufwändige Verarbeitungsschritte benötigt werden, was auch positiv für seine Energiebilanz ist. Hanffasern waren über Jahrhunderte der hauptsächlich verwendete Grundstoff für die Papierherstellung. Hanfpapier hat nicht nur langlebigere Eigenschaften, der Flächenertrag von Hanf ist auch viermal ergiebiger, verglichen mir der gleichen Fläche Wald.
Hanfsamen können wie Hafer oder Weizen zu Mehl gemahlen werden. Sie ergeben mit ihrem hohen Proteingehalt eine gute Nahrungsgrundlage, vor allem in Notzeiten oder in Hungergebieten. Das aus ihnen gewonnene Pflanzenöl ist wegen seiner essentiellen Fettsäuren sehr hochwertig. Es eignet sich auch bestens als Basis für Farben, Firnis und Pflegemittel. Der dabei als Nebenprodukt anfallende Ölkuchen ist eine hervorragende Nahrungsergänzung im Tierfutter. Bei der Fasergewinnung fällt als Nebenprodukt eine stark zellulosehaltige Masse an, die als Grundlage für die Herstellung von Chemikalien, Kunststoffen und Kunstfasern verwendet werden kann.
Im Bereich Naturkosmetik eignet sich Hanföl zur Herstellung von Reinigungs- und Pflegecremes, Duschbädern, Shampoos, Haarkuren, Seifen und Sonnencremes. Und natürlich kann Hanföl auch pur eingesetzt werden. Beim Hausbau findet Hanf vor allem als Dämmmaterial Verwendung. Es ist einfach zu verarbeiten, setzt keine lungengängigen Mikrofasern frei, ist antibakteriell, eiweiß- und milbenfrei. Es wirkt feuchtigkeits- und klimaregulierend und fungiert als guter Brandschutz (die Zersetzungstemperatur liegt bei 335 Grad Celsius). Die Entsorgung ist unproblematisch: verbrennen oder kompostieren. In der Wohnung erweisen sich Textilien aus Hanf als besonders hilfreich bei Allergieproblemen und Hautkrankheiten wie Neurodermitis.
Heilende Wirkung
Auch in der Medizin hat Cannabis mittlerweile den Ruf, positive Wirkung zu haben. Dazu verhelfen ihm seine vielfältigen Inhaltsstoffe: Von allen bisher untersuchten Pflanzen besitzt Hanf den höchsten Gehalt an essentiellen Fettsäuren, und er enthält sämtliche essentiellen Aminosäuren. Dementsprechend vielseitig sind die Anwendungsgebiete: So berichten MS-Patienten, Aidskranke und Tumorpatienten von Erfolgen bei Muskelkrämpfen, Appetitlosigkeit und Übelkeit sowie depressiven Stimmungen. Asthmatiker könnten mit einem Stoß THC aus dem Aerosol die gleiche Wirkung erzielen wie mit gebräuchlichen Asthmasprays auf Kortisonbasis, allerdings preiswerter und mit weniger Belastung für den Organismus. Auch bei anderen Atemwegserkrankungen wie Bronchitis, Keuchhusten und Tuberkulose hat Hanf wohltuenden Einfluss, da THC die Bronchien erweitert und abschwellen lässt. In vielen Fällen kann Hanf zwar nicht heilen, aber die Symptome lindern; so bei Rheuma und Gicht, Hepatitis, dem Glaukom, Herpes, Magen- Darm-Beschwerden und Hauterkrankungen. Allerdings gibt es dazu noch keine ausreichenden Studien.
Dass Cannabis schmerzlindernde Wirkungen hat, war schon vor mehreren tausend Jahren in China und Indien bekannt. In den USA waren Cannabisprodukte zwischen 1850 und 1900 die am meisten verkauften Schmerzmittel, bis sie von Aspirin verdrängt wurden. Eigentlich werden die heilsamen Wirkungen von niemandem angezweifelt, denn Cannabinol ist eine dem Körper sehr vertraute Substanz: Der Mensch verfügt über körpereigene Cannabinoide. THC benutzt also nur das vorhandene System und erhöht dessen Stimulation. Es geht im Grunde um die Angst vor den psychogenen Effekten und dem Suchtpotenzial. Da man auch schlecht ein Medikament verordnen kann, das geraucht werden muss und damit die Atemwege schädigt, wird seit einigen Jahren versucht, das THC zu isolieren, um es in Kapselform zu verabreichen. Dies wiederum hat zur Folge, dass die Dosierung schwer fällt, weil die Resorption des THC individuell abläuft. Außerdem fehlt dem Extrakt die Unterstützung durch weitere der insgesamt 400 Pflanzeninhaltsstoffe, deren Zusammenspiel noch weitgehend unerforscht ist. Es bleibt abzuwarten, wie die vielen noch offenen Fragen in den nächsten Jahren beantwortet werden. Dann erst wird sich zeigen, ob Cannabis eine Chance hat, als Heilmittel anerkannt zu werden. Zwei unbestrittene Vorteile hat es jedenfalls: Es ist als Medizin sehr billig und hat wenig Nebenwirkungen, tödliche Folgen hat es noch nie gegeben. Inzwischen werden in den Niederlanden im Auftrag des Staates 134 Sorten Hanf mit unterschiedlichen Zielsetzungen für die Therapie gezüchtet.
Zukunft mit Hanf
Doch Hanf findet nicht nur Verwendung in Form seiner Pflanzenbestandteile, sondern auch als Biomasse zur Herstellung chemischer Grundstoffe. Mittels Pyrolyse (Zersetzung chemischer Verbindungen unter Luftabschluss bei hohen Temperaturen) erhält man Methanol, Öle, BTU-Gas und Holzkohle. Durch Fermentation (Gärungsprozesse) entstehen Alkohole und methanhaltiges Biogas, aus dem Wärme und Strom erzeugt werden kann. Man könnte also völlig auf Erdöl verzichten.
Würde Hanf auf nur sechs Prozent der Fläche der USA angebaut, wäre mit der darauf zu gewinnenden Biomasse der Gesamtbedarf der USA an Benzin und Öl zu decken.1 Im Durchschnitt lassen sich aus einem Hektar Hanf 9500 Liter Methanol gewinnen. In günstigen Gebieten ließen sich sogar zwei Hanfernten pro Jahr erzielen. Hanf könnte wegen seines schnellen Wachstums auch als Zweitfrucht nach dem Getreide gepflanzt werden. Zudem gibt es allein in den USA 35 Millionen Hektar subventioniertes Brachland. Insgesamt gibt es bereits 40.000 Produkte, die aus Hanf hergestellt werden können!
Wenn ein Land sich nicht darum bemüht, seine Energie- und Rohstoffversorgung mit eigenen, noch dazu umweltschonenden Ressourcen sicher zu stellen, so kann das nur damit erklärt werden, dass die Entscheidungsträger in persönlichem Interesse oder dem von bestimmten Industrien handeln, welches sie über das nationale Wohlergehen stellen.
Hanf macht mobil
Wie das Ergebnis aussehen könnte, wenn man die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Hanfpflanze kombiniert, zeigte im Jahr 1941 der Autobauer Henry Ford. Er präsentierte ein Automobil, »das auf dem Acker wuchs« – es war gebaut aus Holzfasern, Hanf, Sisal und Weizenstroh. Seine Karosserie war leichter als Stahl und trotzdem zehnfach belastbarer. Ein Film zeigte damals, wie mit dem Vorschlaghammer darauf eingeschlagen wurde, ohne dass die Karosserie Schäden davontrug. Angetrieben wurde das Auto zudem mit Hanföl. Dabei war damals die Mobilisierung der Bevölkerung und damit das Entsorgungsproblem gebrauchter Autos noch weit von heutigen Dimensionen entfernt – allein in Deutschland werden jährlich rund drei Millionen Fahrzeuge stillgelegt, wovon zwei Drittel im Ausland und ein Drittel beim Autoverwerter landen.
Doch Hanf machte nicht nur »automobil«, es diente auch wiederholt der Mobilmachung. Während beider Weltkriege – und bereits in Vorbereitung des Zweiten Weltkriegs – diente Hanf sowohl den USA als auch Deutschland dazu, ihre Rohstoffbasis autarker zu gestalten. In der Not wurden plötzlich alle Warnungen vor der »Droge Hanf« über Bord geworfen und in massiven Kampagnen (»Hemp for Victory!«, »Die lustige Hanffibel«) bei den Landwirten beiderseits des Atlantik der Anbau des vorher und nachher Verbotenen forciert.
Trotz aller, in den letzten Jahren wieder entdeckten Vorzüge der Pflanze Hanf, die bis zu solch euphorischen Erwartungen geführt haben, Hanf könne »die Welt retten«, ist es noch ein weiter und mühsamer Weg dorthin. Denn die Ächtung des Hanfs – angeblich wegen seiner Suchtmitteleigenschaften, in Wahrheit aber wohl eher wegen seiner enorm vielseitigen Eigenschaften, die vielen Konkurrenzprodukten, vor allem der Nylonfaser und dem synthetischen Öl der Firma Du Pont, im Weg standen – hat seine Nutzung in weiten Teilen der Welt fast völlig in Vergessenheit geraten lassen. Erst mit Beginn der 90er-Jahre wurden in Europa und den USA die ersten zaghaften Versuche einer Wiederentdeckung dieser alten Kulturpflanze gestartet, verbunden mit der Auflage, THC-arme Hanfsorten zu züchten, die als Rauschmittel nicht geeignet sind.Und da kein Produkt allein wegen seiner positiven ökologischen Eigenschaften eine Marktchance hat, bedarf es noch großer Anstrengungen, um dem Hanf die ihm gebührende Stellung zu sichern.
Denn es gilt erst die Voraussetzungen für eine auch ökonomisch interessante Alternative zu schaffen. Das beginnt bei der Wahl der Sorte passend zur Bodenbeschaffenheit und zum Klima, geht über die Entwicklung geeigneter Ernte- und Verarbeitungsmaschinen bis hin zur Entwicklung einer Logistik der Verwendung der einzelnen Bestandteile der Pflanze. Dazu bedarf es intensiver Forschung und Vernetzung. Die kleinen und mittleren Firmen, die Interesse an der Forschung und Entwicklung in diesem Bereich haben, benötigen dafür zunächst sowohl Unterstützung durch Fördermittel als auch durch Forschungseinrichtungen.
Aus dem Buch „EQUILIBRISMUS – Neue Konzepte statt Reformen für eine Welt im Gleichgewicht“ – www.equilibrismus.de
Weiterer Literaturtip: Jack Herer, Mathias Bröckers: „Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf“, Nachtschatten Verlag, 2008