Wie wir es verhindern können, dass wir uns gegenseitig an die Gurgel fahren
Ich möchte euch heute einen Mann in Erinnerung bringen, der sich wie kein anderer gegen den Wahnsinn des Raubtierkapitalismus zur Wehr gesetzt hat.
Sein Name ist Ernst Friedrich Schumacher, er würde sich vermutlich im Grabe umdrehen, wenn er mit ansehen müsste, wie unser Wirtschaftssystem inzwischen weltweit agiert. Seine Thesen werde ich in meinem Buch „Interview mit der Presse“ mit Sicherheit zur Diskussion stellen. Wer den Menschen als das Maß aller Dinge bezeichnet, sollte sich – um die Relationen ein wenig zurecht zu rücken – erst einmal Ernst Friedrich Schumacher zu Gemüte führen. Das menschliche Maß ist sein Thema. Ich empfehle sein Buch „Small is Beautiful“, das er 1973, vier Jahre vor seinem Tode, veröffentlicht hat. In diesem Buch ist der Artikel „Buddhistische Wirtschaftslehre“ enthalten, den ich hier in Auszügen wiedergeben möchte:
Arbeit erfüllt mindestens drei Aufgaben: sie gibt dem Menschen die Möglichkeit, seine Fähigkeiten zu nutzen und zu entwickeln. Sie hilft ihm, aus seiner Ichbezogenheit herauszutreten, indem sie ihn mit anderen Menschen in einer gemeinsamen Aufgabe verbindet, und sie erzeugt die Güter und Dienstleistungen, die für ein menschenwürdiges Dasein erforderlich sind. Arbeit so zu organisieren, dass sie für den Arbeiter sinnlos, langweilig, verdummend oder nervenaufreibend ist, wäre ein Verbrechen. Aus einer solchen Haltung ginge hervor, Güter seien wichtiger als Menschen. Das aber entspräche einem erschreckenden Mangel an Mitgefühl und der wesenzerstörenden Hinnahme eines Lebens auf der primitivsten Stufe der Existenz.
Eine buddhistische Wirtschaftslehre würde sich von der des modernen Materialismus stark unterscheiden, da sich nach den Buddhisten das Wesen der Kultur nicht in einer Vervielfachung von Bedürfnissen findet, sondern in der Läuterung des menschlichen Wesens. Das Wesen aber wird vor allem durch die Arbeit des Menschen gestaltet. Bei einer sinnvoll unter Bedingungen von Menschenwürde und Freiheit getanen Arbeit ruht Segen auf denen, die sie tun und auf ihren Erzeugnissen.
Der indische Philosoph und Wirtschaftswissenschaftler J. C. Kumarappa faßt das so zusammen: „Wenn die Natur der Arbeit richtig eingeschätzt und angewandt wird, steht sie in derselben Beziehung zu den höheren Fähigkeiten des Menschen wie die Nahrung zum Leib. Sie nährt und belebt den Menschen und drängt ihn, das Beste hervorzubringen, dessen er fähig ist. Sie gibt seinem freien Willen die angemessene Richtung und lenkt das Tier in ihm auf den richtigen Weg. Sie liefert einen ausgezeichneten Hintergrund, auf dem der Mensch seine Wertordnung zeigen und seine Persönlichkeit entwickeln kann.“
Während es dem Materialisten in erster Linie um Güter geht, geht es dem Buddhisten hauptsächlich um Befreiung. Dabei ist der Buddhismus in keiner Weise körperlichem Wohlbefinden gegenüber feindlich eingestellt. Nicht Reichtum steht der Befreiung im Wege, sondern die Bindung an ihn, nicht die Freude an angenehmen Dingen, sondern das Verlangen nach ihnen.
Das ist für den modernen Wirtschaftswissenschaftler nur schwer verständlich. Er ist daran gewöhnt, den „Lebensstandard“ an der Menge des jährlichen Verbrauchs zu messen, wobei ständig angenommen wird, daß es jemandem, der mehr verbraucht, „besser geht“ als jemandem, der weniger verbraucht. Ein buddhistischer Wirtschaftswissenschaftler würde diese Betrachtungsweise als äußerst unvernünftig ansehen.
Einfachheit und Gewaltlosigkeit stehen im Buddhismus in enger Beziehung. Das günstigste Verbrauchsmuster, das mit Hilfe einer vergleichsweise geringen Verbrauchsmenge ein hohes Maß an menschlicher Zufriedenheit erzeugt, gestattet es den Menschen, ohne großen Druck und große Spannung zu leben und die grundlegendste Forderung der buddhistischen Lehre zu erfüllen: „Tue nichts Böses mehr, versuche Gutes zu tun.“ Da die materiellen Quellen überall begrenzt sind, ist es weit weniger wahrscheinlich, daß Menschen, die ihre Bedürfnisse mit Hilfe eines bescheidenen Einsatzes dieser Quellen befriedigen, sich gegenseitig an die Gurgel fahren als Menschen, die von einem hohen Verbrauch abhängig sind. Ebenso wird sich Gewalt weit weniger in örtlichen Gemeinschaften zeigen, die in hohem Maße autark sind, als dort, wo die Existenz der Menschen auf einem weltweiten Handelssystem beruht.
Wer nach der Lektüre dieses Artikels noch immer nicht von seiner gewohnten Überheblichkeit lassen kann, sollte sich zumindest darüber im Klaren sein, dass Ignoranz und Dummheit erst die Voraussetzung für ein global agierendes System himmelschreiender Ungerechtigkeit bilden, das uns demnächst auf die Füße fallen wird – mit schrecklichen politischen, sozialen, kulturellen und ökologischen Folgen.
+ Ernst Friedrich Schumacher (1911 -1977) war ein britischer Ökonom deutscher Herkunft. Nach dem Krieg arbeitete er als Wirtschaftsberater bei der britischen Steuerkommission, die mit dem Umbau der deutschen Wirtschaft betraut wurde. 1955 reiste Schumacher als ökonomischer Berater nach Birma. Dort entwickelte er die Grundregeln seiner „Buddhist Economics“, die auf dem Glauben basiert, dass gute Arbeit für eine richtige menschliche Entwicklung wesentlich ist und dass „Produktion von lokalen Betriebsmitteln für die lokale Notwendigkeiten die rationalste Weise des Wirtschaftens ist.“ (Quelle: Wikipedia) Die Textauszüge stammen aus dem Buch „Die Rückkehr zum menschlichen Maß“ (Small is Beautiful), Rowohlt-Verlag