Was ist besser: eine Diktatur zur Ausbeutung der Erde, oder eine zu ihrem Schutz?
Tut mir leid, wenn ich immer wieder auf meinen Vortrag „Die ignorierte Katastrophe – Plädoyer für eine Ökodiktatur“ zu sprechen komme, den ich 1995 an mehreren Universitäten gehalten habe und der sich jetzt in der Neuauflage von „GO! – Die Ökodiktatur“ im Anhang befindet. Aber die aktuellen Ereignisse in Spanien und anderswo geben mir nun einmal auf erschreckende Art recht. In dem Vortrag heißt es unter anderem:
Der von mir sehr verehrte Science-Fiction-Autor und Philosoph Stanislav Lem brachte es folgendermaßen auf den Punkt: „Die Zivilisation ist ein Schiff, das ohne Pläne gebaut wurde und führerlos dahinschlingert. Es fehlt ihr an spiritueller Verbundenheit, mit deren Hilfe sie bewusst einen Kurs hätte wählen können, der eben nicht in die Katastrophe mündet. Stattdessen lässt man sich von den Strömungen zufälliger Entdeckungen treiben und vertraut blindlings den Angeboten, die kurzfristig größtmöglichen Profit versprechen. Wir haben uns auf ein Spiel mit der Natur eingelassen und dabei eine Partie nach der anderen gewonnen. Aber wir lassen uns derart in die Konsequenzen unserer Siege verwickeln, dass statt einer vernünftigen Strategie nur vordergründige Taktik betrieben wird.“
Kaum eine Fiktion hat mehr dazu beigetragen, die wahre Natur der Zivilisation zu verschleiern, als der eifrig propagierte Irrglaube, bei der modernen Technologie handele es sich um ein bloßes Hilfsmittel der Menschheit. Am Beispiel der Atomwirtschaft, die trotz des Schocks von Tschernobyl angesichts der aktuellen Energiekrise gerade weltweit einen gewaltigen Auftrieb erlebt, wird diese Schizophrenie besonders deutlich. Die atomaren Abfälle werden auf Jahrtausende hinaus eine nicht abzutragende Hypothek bilden. Jede Abfallart enthält eine Mischung aus Radioisotopen, deren Halbwertzeiten bis zu einer Million Jahre betragen. Das bedeutet, dass zum Beispiel waffenfähiges Plutonium-239 zwölftausend Menschengenerationen unter Kontrolle gehalten werden muss. Zwölftausend nachfolgende Generation sind durch uns gezwungen, eine atomare Priesterschaft zur Bewachung einer tödlichen Hinterlassenschaft heranzubilden, mit der sie nie praktischen Umgang pflegten. Wie soll das funktionieren? Man braucht sich doch nur vor Augen zu führen, was allein die letzten hundert Jahre an Imponderabilien bereit hielten.
Wie reagiert die Politik auf diese Herausforderung? Sie geht, wie im kapitalistischen System nicht anders zu erwarten, vor der Energielobby in die Knie. Angela Merkel, Umweltministerin im Kabinett Kohl, hat allen Ernstes angeregt, die Endlager zu privatisieren. Das, so Merkel, sei zulässig und sachgerecht. Mit anderen Worten: der Staat stiehlt sich aus der Verantwortung und überlässt sie jenen, die das Langzeitdesaster angerichtet haben und daran noch kräftig verdienen.
Ein solch fahrlässiger Umgang mit den dringendsten Problemen der Zeit wird nicht ohne Folgen bleiben. Die Zahl der Menschen, die sich vor dem Hintergrund eines ungezügelten Wirtschaftswachstums und kollabierender Naturhaushalte zum Widerstand bereit finden, wächst. Wir werden in den nächsten Jahren einen Quantensprung der Gewalt erleben. Die Menschen glauben nicht mehr daran, dass sich auf demokratischem Wege eine Wende zum Besseren erzielen ließe. Sie führen eine Art Guerillakrieg gegen die Gesellschaft. Es ist ein Glaubenskrieg und diejenigen, die ihn führen, sind moralisch hoch gerüstet.
Damit hat die Politik exakt jenes Problem am Hals, das Robert Jungk bereits in seinem Buch „Der Atomstaat“ beschworen hat. Um die wirtschaftlichen Interessen zu schützen, werden die Regierungen logischerweise dazu übergehen, die letzten demokratischen Grundrechte zu beschneiden – der Widerstand in der Gesellschaft wird also den totalen Überwachungsstaat nach sich ziehen. In den nächsten Jahren werden unsere Demokratien schrittweise zu inhaltsleeren Gebilden verkommen, hinter denen sich autoritäre Strukturen verbergen, wie sie so bisher nur in Diktaturen möglich schienen. An dieser Stelle muss man sich die Frage stellen, was denn besser ist: Eine Diktatur zur Ausbeutung der Erde oder eine zu ihrem Schutz?
Interessant, wie unsere Kanzlerin, die gerade den Turboausstieg aus der Kernenergie propagiert, vor gar nicht allzu langer Zeit noch gedacht hat… Kein Wunder, dass die Atomwirtschaft angesichts dieser Kehrtwende ähnlich irritiert ist wie die Bürger, denen Angies Wendehals dann doch ein wenig zu biegsam erscheint. Die letzten Wahlergebnisse beweisen es: Vertrauen sieht anders aus.