Von der Ökodiktatur und anderen Alternativen
Obwohl das „Tahiti-Projekt“ und MAEVA! positive Zukunftsvisionen entwickeln, werde ich auf meiner aktuellen Lesereise immer häufiger auf mein Buch „GO! – Die Ökodiktatur“ angesprochen. Das ist erstaunlich, weil die Veröffentlichung dieses Romans immerhin schon achtzehn Jahre zurück liegt. Es zeigt aber, wie tief das Unbehagen in den Köpfen der Menschen inzwischen Platz gegriffen hat.
Angesichts einer Politik, die den dringendsten Herausforderungen der Zeit mit erschütternder Ratlosigkeit begegnet, anstatt sie in globaler Verantwortung anzugehen, fällt es den Menschen offensichtlich immer schwerer, sich eine Wende zum Positiven vorzustellen. Ich verstehe das sehr gut. Aber es bringt ja nichts, wenn wir uns permanent am Rande der Depression bewegen. Wie sagt MAEVA!?
„Nicht wir sind dem Tode geweiht, es sind unsere alten Sicht- und Handlungsweisen, die sterben. Im Grunde müssen wir heute zwei Aufgaben zugleich bewältigen: als Sterbebegleiter für ein abgewirtschaftetes System und als Geburtshelfer für eine neue Kultur. Wenn es uns gelingt, eine positive Zukunftsvision in uns erblühen zu lassen, dann werden wir sie in der praktischen Politik auch umsetzen können. Denn es wird nichts Neues durch uns in die Welt kommen, was nicht vorher in unserem Bewusstsein Gestalt angenommen hat.“
Keine leicht zu bewältigende Aufgabe. Denn von dem, was ich damals im Anhang der „Ökodiktatur“ geschrieben habe, ist leider nichts zurückzunehmen. Hier ein Auszug:
Neulich sah ich im Hamburger Abendblatt ein halbseitiges Foto von einem Wal, von dessen gigantischer Schwanzflosse das Wasser perlte. Natürlich dachte ich zunächst, es handele sich um einen Bericht über die Ausrottung der Meeressäuger. Unter dem Bild stand jedoch die Überschrift: „Wal griff Urlauber an!“
Wohin die Auswüchse unserer Mediengesellschaft führen, haben Aldous Huxley in die „Schöne neue Welt“ und Raymond Bradbury in „Fahrenheit 451“ trefflich beschrieben. Dabei stehen wir erst am Anfang der Medienrevolution. Im Cyberspace der nächsten Jahre werden wir endgültig vergessen haben, welche Kriege der Unterhaltung dienen und welche nicht. Die Medien haben sich wie ein Filter vor die Außenwelt geschoben. Wir lernen nicht mehr aus persönlicher Erfahrung, sondern aus den von der Wirklichkeit abgezogenen Bildern.
Der eigentliche Irrtum besteht darin, dass wir die Anhäufung von Daten mit Wissen verwechseln. Je mehr wir aber in Erfahrung bringen, desto weniger sind die Ergebnisse wert. Unsere Datenbanken blähen sich ins Ungeheuerliche. Alle fünf Jahre verdoppelt sich das Weltwissen. Dieses Trommelfeuer an Informationen macht unsere Köpfe und Herzen taub. Die Informationsflut führt also nicht zu mehr Aufklärung, sondern zu mehr Zynismus und Gleichgültigkeit.
Natürlich haben die unablässig fließenden Informationen auch etwas Gutes. Der Umweltschutzgedanke hat, zumindest in Europa, erheblich an Terrain gewonnen. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir im selben Zeitraum eine „Auto“-mobilmachung um das Doppelte erleben mussten, dass sich die größtmöglichen Unfälle aus der Nuklear- und Chemieindustrie aneinander reihen wie Perlen auf einer Kette ohne Ende, dass wir im Abfall zu ersticken drohen, dass Böden und Meere nahezu gesättigt sind von Giften, dass durch rege Bautätigkeit das vernetzte Ökosystem weltweit am seidenen Faden hängt (wobei die Landnahme überhaupt noch nicht diskutiert wird), dass wir ein unlösbares Atommüllproblem vor uns herschieben, dass Wissenschaft und Forschung als die vermeintlichen Retter einen Freifahrtschein für Genmanipulationen erhalten haben – all dies widerspricht der These, wir seien mit aufklärerischen Mitteln in der Lage, auf demokratischem Wege Mehrheitsverhältnisse zu schaffen, die auch nur das Schlimmste verhüten mögen.
Die Menschen, das steht fest, sind dem Druck der niederschmetternden Sachinformationen nicht mehr gewachsen. Aber solange wir nach dem Motto verfahren: „Mein Kind schielt nicht, es soll so gucken“, solange wir die Tatsachen leugnen anstatt eine radikale Problemlösung zu suchen, können wir bei künftigen Generationen kaum auf Verständnis hoffen. Sie werden uns als Verbrecher outen, ihre Ökodiktatur brocken wir ihnen gerade ein.
Je eher wir uns an den Gedanken gewöhnen, dass es zwingend notwendig geworden ist, die heiligen Kühe unserer auf Gewinnmaximierung bedachten Unkultur zu schlachten, desto größer ist die Chance, den Frieden zwischen den Generationen einigermaßen zu retten. Die Freiheit des Einzelnen, die wir ja ohnehin nur noch als Konsumfreiheit definieren, darf es in dieser Form in Zukunft nicht mehr geben. Wenn der Soziologe Ulrich Beck also fordert, dass die Umweltschutzbewegung ein Stück Machiavellismus braucht, so meint er im Grunde nichts anderes, als dass die demokratische Entscheidungsfindung, die heute über das Diktat der Unaufgeklärten und Manipulierten zustande kommt, durch das Diktat der Vernunft ersetzt werden muss.
Unsere Demokratien sind zu Organismen verkommen, die allein durch wirtschaftliches Wachstum überleben. Bleibt dieses aus, macht sich sofort ein rechtes Protestpotential bemerkbar, das direkt in den verschleierten Faschismus führt. Italien ist das jüngste Beispiel, Rußland steht auf der Kippe, in den USA, England, Spanien, Frankreich, den Niederlanden, Dänemark, Ungarn und deutlich auch bei uns ist das Phänomen ebenfalls zu spüren. Die demokratisch-ökologische Wende wird unter diesen Umständen auf sich warten lassen. Also lassen Sie uns über den Begriff Diktatur reden. Die Ökodiktatur wird nicht als Ideologie daherkommen, die genügend Ressentiments bedient, um eine Volksbewegung zu werden. Sie wird nicht durch eine Revolution über uns kommen, sondern scheibchenweise installiert werden. Ihre Machtergreifung wird durch die schlechter werdenden Bedingungen diktiert, unter der die herkömmlichen Volkswirtschaften zusammenzubrechen drohen. Je länger wir darauf verzichten, im Vorgriff umzusteuern, desto wahrscheinlicher und grausamer wird die Ökodiktatur. Sie wird wenig zu tun haben mit grünen Idealen, sie wird sich als Entseuchungskommando in einer ganz und gar kaputten Welt verstehen. Das ist nur logisch. An dieser Stelle hätten wir eben keine Wahl mehr. Wir haben die Erde schwer verwundet, das beginnt sich zu rächen. Die Ökodiktatur wird zur historischen Wahrheit, damit ist sie per se gerecht. Dass es ein Schweinesystem wird, ist doch klar. Auch auf dem Gebiet der Staatskunst will uns nämlich schon lange nichts Erhebendes mehr gelingen…
Wäre dies so, hätten wir eventuell eine Chance. Wir würden uns gemeinsam kümmern, geballter persönlicher Verzicht würde zu neuer Erfahrung auch im Miteinander führen, wir erlebten die Gnade, gemeinsam Reue zu zeigen. Halten Sie eine solche Gesellschaft für möglich? Dies wäre in der Tat eine demokratische Gesellschaft, aus ihr käme entschieden mehr Power, als aus jeder erzwungenen Kehrtwendung.
Fangen wir an, kümmern wir uns. Gemeinsam!
Das Buch „GO! – Die Ökodiktatur“ kann man unter www.equilibrismus.orgbestellen. Ebenso das gleichnamige Hörbuch. Es ist für 15 Euro als mp3 und m4b erhältlich. Sprecher: Dieter Prochnow, Hanna Seifert